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Tochter des Drachen

Tochter des Drachen

Titel: Tochter des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilsa J.Bick
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graublauen Augen seines Bruders. Er hörte wortlos zu, als Mutter ihm erzählte, wie Onkel Kan gestorben war. Dann hob ich die Schwerter, die wir auf ein besonderes reinweißes Seidenkissen gelegt hatten, weil Weiß die Farbe des Todes ist. Ich erinnere mich, wie unglaublich nervös ich war, furchtbar besorgt, ich könnte es verpatzen. Immerhin musste ich mich hinknien, das Kissen ablegen, mich dann im Sitzen vorbeugen und beide Hände für eine exakte Verbeugung auf den Boden legen.
    Otome-san sagte lange gar nichts. Mein Kopf war gesenkt, mein Blick ruhte auf dem Kissen, und ich sah jedes Detail dieser beiden Schwerter: die Tsubas aus goldener und silberner Emaille, auf denen in exquisiter Detailliertheit eine Gottesanbeterin eine Grille verspeiste, ohne zu ahnen, dass eine Goldamsel kurz davor war, sie zu fressen; das tief kobaltblaue Leder um die Griffe beider Schwerter und die lackierten Scheiden derselben Farbe.
    Endlich forderte mich Otome-san auf, mich zu erheben. Er war mir nahe genug, dass ich den schwachen süßen Lakritzduft von Sternanis in seinem Atem roch. Er fragte mich: »Du trauerst um Kan Otome?«
    »Ja, Otome-san. Ich habe Onkel Kan sehr geliebt.«
    »Und dein Vater? Liebst du ihn auch?«
    »Nein.«
    »Und warum nicht? Er ist dein Vater ...«
    »Und Sie sind der Bruder des Mannes, den mein Vater getötet hat. Wollt Ihr Euch nicht rächen?«
    »Jeder Mensch trägt die Saat seines Untergangs in sich. Dein Vater benötigt keine Hilfe von mir, um sie Wurzeln schlagen zu lassen. Außerdem erledigst du diese Arbeit bereits vorbildlich.«
    Mein Hals wurde ganz heiß, und vor Verlegenheit habe ich bestimmt getänzelt. »Ich verstehe nicht, Otome-san.«
    »Ich sehe hier nur deine Mutter.«
    »Das liegt daran, dass er sich zu sehr schämt, um Ihnen gegenüberzutreten.«
    »Du irrst dich. Dein Vater hat eine grundlegende Wahrheit entdeckt. Ein Bruder ist der schrecklichste und tödlichste Feind von allen. Dein Vater wollte mich für die Verbrechen meines Bruders nicht noch zusätzlich beschämen.«
    »Verbrechen?« Ich war völlig verwirrt. »Mein Vater hat Onkel gezwungen ...«
    »Er hat meinen Bruder gezwungen, sich seine Schande einzugestehen, und danach hat er ihm als sein Kaishakunin geholfen, die verlorene Ehre wiederherzustellen. Ich kannte deinen Vater gut, Musu-me, meine Tochter. Vertrau mir, ich sage die Wahrheit.« Er spießte mich mit einem Blick auf, der mich an den Knöcheln hochhob und kräftig durchschüttelte, um zu sehen, was herausfiel. »Du hast einen starken Kokoro, Tochter, einen kräftigen Geist. Aber in dir steckt auch eine Gaijin, eine Fremde. Darin bist du deinem Vater sehr ähnlich, hai? Akira-san hat einen Verräter entdeckt, einen Gaijin, und ihn aus seinem Leben verbannt. Dein Vater weiß, dass die Tat allein noch keine Heilung bringt. Das kann nur die Zeit. Du bist noch sehr jung, aber dies ist etwas, das du tun musst, Musume, oder du wirst niemals Frieden finden.«
    Schließlich gab mir Otome-san Onkel Kans Waki-zashi. Das war sicher kein Zufall. Es ist das Schwert, mit dem sich Onkel Kan aufgeschlitzt hat. Gaijin wohl darum, weil die Botschaft des Schwerts deutlich in das Tsuba gehämmert ist, das mit dem Vogel, der Jagd auf die Gottesanbeterin macht, die dabei ist, die Grille zu fressen. Auch nur ein anderer Name für den allgegenwärtigen Grundsatz: Sieh dich vor.
    Weil man nie wissen kann, was die nächste Sekunde bringt.
    Two Forks, Junction
    Militärdistrikt Benjamin, Draconis-Kombinat
    27. Dezember 3134
    Vier Monate warten, dass etwas passiert. Vier Monate widerwärtiger Fraß, beschissene Bezahlung und eine klumpige Matratze in einer rattenverseuchten Mietskaserne. Vier Monate voller Samstagabende, an denen Dr. Matt McCain irgendwelche Idioten verarzten musste, die in der Woche richtig schlechten Stoff erwischt hatten, und trotz größter Anstrengung seinerseits nicht in ihren zugedröhnten Schädel bekamen, dass McCain keinen Bedarf hatte, sie jemals wiederzusehen. Aber so war Two Forks. YakuzaGebiet, reichlich Drogen, reichlich Sex, und Dank seiner Lage in den Tropen Junctions heiß genug, dass Müll nach einer Stunde zu stinken begann und die Gemüter mindestens ebenso schnell den Siedepunkt erreichten.
    Der letzte Samstag war übel gewesen. Wirklich übel. McCain starrte nach unten und schaute dem
    Wasser zu, wie es vor seinen Füßen in einem Strudel in den Abfluss schoss. Vier lausige Monate auf diesem Scheißhaus von einem Planeten, und meinem Ziel keinen

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