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Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Lise Marstrand-Jørgensen
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Hugo gedroht, er solle den Mund halten, und er hatte gehorcht. Sie war entsetzt und wagte es nicht, mit irgendjemand anderem als Benedikta zu sprechen. Aber als Mechthild bemerkte, dass sie keinen Augenblick ohne die Begleitung ihrer Schwester verbrachte, wenn Gerbert zu Besuch war, gestand sie weinend und beschämt, was passiert war. Benedikta war währenddessen selbst im Saal und ärgerte sich über das lang anhaltende Geflenne ihrer großen Schwester.
    Mechthild hatte an der Feuerstelle gestanden und Clementia zugehört, ohne eine Miene zu verziehen. Kurz darauf wurde die Hochzeit vorverlegt, und Clementia weinte sich eine ganze Woche lang in den Schlaf. Benedikta wusste nicht, was sie sagen sollte, um ihre Schwester zu trösten, weil sie den Gedanken an Gerbert grauenerregend fand. In ihren Vorstellungen von der Ehe ist der Mann zwar reich wie Gerbert, jedoch nur halb so alt und hat ein Gesicht so schön wie das des neuen Stallmeisters Joachim. Er senkt den Blick, wenn sie vorbeigeht, aber ab und zu gelingt es ihr, unbeaufsichtigt durch den Stall zu gehen, unter dem Vorwand, sie müsse etwas holen oder nach den Fohlen sehen. Den Stallburschen, den zahnlosen Heine, kennt sie, seit sie fünf ist und ihm die Zähne noch nicht von einer widerspenstigen Stute ausgetreten worden waren. Damals hatte er Grimassen geschnitten, bis sie lachen musste. Jetzt ist sie vierzehn, und keiner wagt es mehr, ihr Grimassen zu schneiden oder sie auch nur anzusehen, denn die Strafe dafür, sich an den Töchtern des Hausherrn zu versuchen, ist hart. Joachim schlägtdie Augen jedoch nicht immer nieder, und einige Male schon hat sie seinen freimütigen Blick erwidert.
    Benedikta lässt bei dem Gedanken die Hände ruhen und knüllt die Kante des Lakens zusammen, ohne es zu wissen. Sie denkt an einen Nachmittag, neulich erst, an dem sie mit Hugo und Odilia zum Bach gegangen war. Während die Kinder Stöckchen und Borkenstücke ins Wasser warfen, lag sie ausgestreckt im Gras. Zuerst hatte sie an überhaupt nichts gedacht. Dünne, weiße Wolken rissen sich voneinander los und zogen als missgestaltete Tiere am Himmel entlang. Wenn sie den Kopf zu der einen Seite wandte, konnte sie eine Ahnung von Hugos oder Odilias Haarschopf im Schilf erhaschen. Auf der anderen Seite lag der Stall, und sie fühlte einen starken inneren Drang, dort hinaufzugehen. Zwar hatte Mechthild ihr aufgetragen, auf ihre Geschwister aufzupassen, doch war sie sich sehr wohl im Klaren darüber, dass es nur ein Vorwand war und in Wahrheit die Kleinen ein Auge auf sie hatten.
    Im Stall war es dunkel, doch das Licht hatte an einigen Stellen den Weg durch das Dach gefunden und fiel wie zu Garben gebunden herein. Staub und Stroh tanzten um Joachim herum, als er frisches Heu in die Stände streute, nachdem er Heine zu den Pferden auf der Allmende geschickt hatte. Der Duft von frischem Stroh vermischte sich in der Nachmittagshitze mit dem Geruch der Tiere und dem Gestank von Urin. Joachim wandte sich ihr zu, lehnte sich gegen den Stand und lächelte. Seine Kleidung war staubig und schmutzig von der Arbeit, und sie fühlte sich außerstande, sich zu bewegen. Das brachte ihn zum Lachen. Er warf die Heugabel weg, machte einen Schritt auf sie zu und schob mit einem festen Griff in seinen Schritt den Unterleib vor und zurück, während er sie anstierte.
    Sie war aus dem Stall gestürmt, atemlos und durcheinander,hatte keuchend auf dem Hofplatz gestanden. Als Clementia aus dem Küchenhaus kam, rannte Benedikta hinunter zu den Obstbüschen und kauerte sich hinter dem Zaun zusammen. Sie hatte die Episode niemandem gegenüber erwähnt, aber sie hatte sich geschworen, niemals, niemals wieder alleine durch den Stall zu gehen. Das Gelübde hatte sie jedoch nicht einhalten können. Sie war ein Wirrwarr aus losen Fäden, die Rückseite einer Stickerei, bevor die Enden vernäht sind, Fäden, an denen Joachim mit seinen groben Händen zog. In der Regel ging sie erhobenen Hauptes durch den Stall und bildete sich ein, es bedeute nichts, doch es fiel ihr durchaus schwer, so zu tun, als sei sie nicht enttäuscht, wenn er nicht da war oder, noch schlimmer: da war, aber so tat, als bemerke er sie nicht. Dann kreisten ihre Gedanken um die ausgebliebene Aufmerksamkeit, zwangen sie, zum Stall zurückzugehen, sobald sich die Möglichkeit bot. Es war dumm, das sah sie wohl ein. Sobald es ihr geglückt war, das zu bekommen, wofür sie gekommen war, schimpfte sie auf sich selbst und ihre Besessenheit und ihr

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