Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
tritt, gefolgt vom zahnlosen Heine, der dämlich grient, auf den Armen das Zaumzeug, das zu Hildeberts Pferd gehört. Hildebert erteilt Befehle, und Heine verrenkt den Kopf erst zur einen und dann zur anderen Seite, um den Mücken zu entgehen, die mit dem Sommer in Schwärmen einfallen. Mechthild bleibt stehen, reibt sich geistesabwesend ihre Lende, erhitzt von einer sonderbaren Angespanntheit, die sie gleichzeitig lachen und weinen lassen könnte. Wenn er doch nur die Absprache mit Sophia, ihrem Sohn Meinhard und der frommen Jutta zustande gebracht hat, dann werden sie dafür sorgen, dass das Ersuchen an den Bischof, Jutta als Inklusin aufzunehmen, auch Hildegard einschließt. Wie schnell der Bischof diese Sache entscheidet, ist schwer zu sagen und hängt wohl von so vielem ab. Obwohl sie vermutlich einen Teil der Kirche am Disibodenberg wieder beziehen können, stehen noch Bauarbeiten bevor, ehe das Kloster wieder genutzt werden kann, und noch mehr, bevor es selbstversorgend sein wird. Aber wenn sie eingewilligt haben, Hildegard in ihre Obhut zu nehmen, kann sie vermutlich schon diesen Herbst nach Sponheim geschickt werden, wo Jutta sie unterrichten und auf das Klosterleben vorbereiten und schließlich die Entscheidung fällen wird, ob Hildegard geeignet ist.
Joachim führt zwei Pferde heraus. Hugo ist dazugekommen und schwingt sich auf den stämmigen Braunen, Hildebert selbst setzt sich in den Sattel des scheckigen Wallachs. Im Schritt reiten sie durch das Tor. Mechthild ist erleichtert, dass er sich nicht gleich zurück nach Sponheim aufmacht.
Der Schmerz nagt sich durch das Becken bis hinunter in die Schenkel, sie fühlt sich alt und presst die Finger auf ihre geschlossenen Augen, um nicht zu weinen.
Drutwin war der schwerste Abschied, denn sie hatte es als gegeben angenommen, dass er in Bermersheim bleiben und den Hof übernehmen würde. Ohne gefragt zu werden, hatte er sein Erbe an Hugo abtreten und sich gehorsam dem eigensinnigen Willen seines Vaters unterordnen müssen. Wenngleich es offensichtlich war, dass dem Jungen sowohl der Charakterals auch die Mannhaftigkeit fehlte, hätte Hildebert ihn nicht so weit wegschicken müssen, dass sie ihn so gut wie sicher nie wieder sehen wird. Roricus kann sie wenigstens in Mainz besuchen, auch wenn es nicht oft vorkommt.
Clementia wird die erste ihrer Töchter sein, die das Zuhause verlässt, und bald werden sie auch einen passenden Ehemann für Benedikta finden. Sie hat viel zu viel Energie und eigenen Willen, es wird kaum leicht für sie werden, dem Willen eines Mannes zu folgen. Dafür ist sie schön und lebhaft, und das wird die Bewerber erst einmal anziehen. Für Irmengard und Odilia haben sie bereits Vereinbarungen getroffen, es den Mädchen aber noch nicht erzählt. Hugo ist wie geschaffen für ein Leben auf einem Pferderücken, und wenn Hildebert einmal nicht mehr kann, wird der Junge den Hof auf die gleiche Art wie sein Vater weiterführen. Eine Hochzeit im Jahr, denkt Mechthild und schließt die Augen, das müssen sie die nächsten vier Jahre bewältigen, und dann würden nur noch sie, Hildegard und Hugo übrig sein. Und natürlich Hugos zukünftige Ehefrau, mahnt sie sich selbst und lässt sich beschwerlich auf einem Stuhl nieder. Sie muss mit Bedacht gewählt werden. Wenn sie und das Mädchen nicht miteinander auskommen, wird es niemals gehen.
An Clementias Hochzeitstag summt der Hof vor Leben. Die Familie hat frei, während alle anderen schuften müssen. Früh am Morgen inspiziert Mechthild die Küche und den Saal, wo Otto das Aufhängen der schönen Wandteppiche dirigiert. Zufrieden und überzeugt davon, alles unter Kontrolle zu haben, zieht sie sich zurück in die kleine Stube, in der die Töchter warten. Hildegard ist ausnahmsweise einmal gesund, sie sitzt in einem neuen, himmelblauen Seidenkleid da und betrachtet diekommende Braut. Ab und zu beginnt die Kleine einen Satz, den sie nicht vollendet, doch weder Mechthild noch ihre Schwestern haben die Ruhe, auf das zu hören, was sie sagt.
Irmengard und Odilia streiten sich, wer den längsten Zopf hat, Mechthild ist es leid, das Gezänk anzuhören und droht, sich mit der Schere des Haars beider Mädchen anzunehmen. Benediktas Scherze werden gröber und gröber, sie macht unanständige Andeutungen zur bevorstehenden Hochzeitsnacht, bis Clementia in Tränen ausbricht. Benedikta bereut ihre Boshaftigkeit, wirft sich ihrer Schwester an den Hals und heult noch lauter, bis Mechthild anfängt zu lachen
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