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Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Lise Marstrand-Jørgensen
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kindisches Benehmen.
    Nach dem entsetzlichen Nachmittag hatte sie sich mehrere Tage ferngehalten, aber als es ihr gelang, in dem allgemeinen Durcheinander nach dem Abendessen allein davonzuhuschen, trieb die Neugierde sie doch wieder hinunter zum Stall. Auf halbem Weg sah sie Heine Richtung Dorf gehen, und das Herz war ihr bis in den Hals gesprungen bei dem Gedanken, Joachim alleine im Stall vorzufinden. Die Pferde bewegten sich unruhig in ihren Ständen, schlugen mit den Schweifen nach blutdürstigen Insekten. Es war die Zeit für Pferdebremsen und Biesfliegen. Rechts von der Tür hing Hildeberts Zaumzeug. Er war am selben Abend aus Sponheim gekommen, und es war noch nicht in die Sattelkammer gebracht worden. Seine Peitschestand an die Mauer gelehnt da, sie ließ die Finger über den mit Leder umwickelten Griff gleiten und weiter an den Wandbalken entlang. Die Stille im Stall nahm ihr den Mut, hinter den Lauten der Tiere fand sie nichts anderes als ihre eigenen unterdrückten Atemzüge. Da trat Joachim hinter ihr in die Türöffnung, füllte sie fast vollständig aus, blieb mit gespreizten Beinen und vor der Brust verschränkten Armen stehen. Sie suchte sein Gesicht, mutiger als je zuvor, begegnete seinem Blick, seinem schrecklichen, trotzigen Blick. Er ging einen Schritt auf sie zu, sie trat zurück. Er machte noch einen Schritt, langsam und drohend. Sie wollte sich umdrehen, aus der Dunkelheit des Stalls fliehen, blieb aber mit dem Rücken gegen die Wand stehen, als habe sie sich ergeben. Sein Gesicht war dreckverschmiert, und als er näher kam, stach ein widerlicher Gestank nach Schweiß und Bier in ihre Nase.
    »Warum kommst du ständig wieder her?«, flüsterte er.
    Die Zunge wuchs in ihrem Mund, wuchs hinunter in den Rachen, bis sie Brechreiz verspürte. Er warf seinen Oberkörper mit solcher Kraft nach vorn und gegen sie, dass sie aus purem Schrecken den Kopf zurückwarf und mit dem Hinterkopf gegen die Balkenwand stieß. Er entblößte seine Zähne, knurrte wie ein Hund. Nein, sagte sie und hob die Hände. Ein pfeifendes, kraftloses Nein, das ihn dazu brachte, innezuhalten, als käme er zur Besinnung. Aber dann lachte er. Es war ein leises und höhnisches Lachen. Er streckte seine große Hand nach ihr aus. Sie bewegte sich nicht, unternahm nicht den kleinsten Versuch zu entkommen, und nachher schämte sie sich gerade darüber am meisten. Er legte die Hand um ihren Hals, drückte genau so fest zu, dass sie keinen Laut hervorbringen konnte, obwohl das NEIN in ihrem Körper zu einem Schrei wuchs, der Mechthild und Hildebert herbeirufen konnte. Ein Schatten, der ihrentfahren und das ganze Dorf herbeirufen konnte. Aber der Laut blieb eingesperrt, schnitt gegen die Innenseite der Kehle, dort, wo er sie am Hals gepackt hielt. Sie starrte ihn an, starrte direkt in sein Haar, als er seinen zerzausten Kopf beugte und gegen ihre Brust presste.
    Er ließ die freie Hand dem Stoff auf ihrem Körper folgen, ohne das Kleid zu berühren. Dann ließ er sie los, spuckte in das Stroh neben ihr. »Wenn du plauderst!«, zischte er ihr ins Ohr.
    Mit dem Schrei im Hals rannte sie aus dem Stall, rieb und rieb die Haut an der Stelle, an der er sie festgehalten hatte, eilte in den Obstgarten, lief zwischen den Bäumen vor und zurück.
    Wenn sie Mechthild oder Hildebert erzählte, was passiert war, würde er möglicherweise bestraft werden. Die Beine zitterten unter ihr, und sie kauerte sich im Gras zusammen, presste die Stirn so hart gegen die Knie, dass es weh tat. Vielleicht würden sie fragen, was sie so spät noch alleine im Stall gemacht habe. Vielleicht würden sie gar glauben, es sei noch anderes geschehen, als dass sie nur seinen Blick herausgefordert hatte. Und er, was würde er sagen? Obwohl er nichts anderes als ein einfacher Stallmeister war, würde auch er gehört werden. Dann würde das Gerücht das ganze Dorf in Brand setzen, es würde wachsen und sich häuten, wieder und wieder, und wenn er tatsächlich bestraft würde, würden sie ganz sicher denken, er habe sich an ihr vergangen, und dann wäre sie in ihren Augen nicht länger Jungfrau.
    Sie ging erst wieder in den Saal zu den anderen, als sie ihren Atem unter Kontrolle hatte. Mechthild saß im Dämmerlicht am Tisch, umgeben von ihren Kindern.
    »Ja?« Mechthild sah sie an, wartete auf eine Erklärung für ihr verstörtes Erscheinen.
    »Ich bin bei den Fohlen gewesen«, antwortete Benedikta dumm und blieb stehen.
    »Alleine?«
    »Ja, Mutter … also nein … ich

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