Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
und sich ihre ältesten Töchter beruhigen und die Tränen trocknen. Clementia pikt Benedikta in die Seite und sagt, sie freue sich darauf, zu sehen, wer als ihr Zukünftiger auserkoren wird, und zwar noch heute. Benedikta schneidet ihr eine Grimasse, weiß aber ganz genau, dass das Hochzeitsfest eine ausgezeichnete Gelegenheit für die Junggesellen ist, sich die unverheirateten Mädchen des Hauses anzusehen.
»Nicht für mich«, sagt Hildegard mit fester Stimme, und dann brechen alle in Gelächter aus.
Hildegard lacht mit, angestrengt und verständnislos. Mechthild legt die Arme um sie und drückt sie an sich.
»Nicht für dich?«, fragt sie und hält Hildegard von sich weg. »Sollen für dich keine Ehevereinbarungen getroffen werden?«
Die Schwestern lachen Tränen. Mechthild aber küsst ihre Jüngste, die anscheinend keinen Anstoß an Irmengards und Odilias groben Bemerkungen nimmt, sie sei eine Bohnenstange und ein Zwerg, den sowieso keiner wolle. Es brennt Mechthild auf der Zunge, Hildegard von den Zukunftsplänen für sie zu erzählen, aber sie muss sich beherrschen, bis sie Hildeberts Einverständnis hat.
»Wirst du gar nicht heiraten?«, fragt Clementia neckisch. Doch Hildegard sieht nur ins Feuer, ohne zu antworten.
Hildebert klopft an die Tür, er ist herausgeputzt und wirkt noch massiger als sonst mit dem dunkelblauen Umhang über seinem roten Wams. Tante Ursula eilt hinter ihrem kleinen Bruder herbei, aufgeregt, weil der Wachtposten gerade gerufen hat, Gerbert und sein Gefolge werden jeden Moment auf den Hofplatz einreiten, um das Fest beginnen zu lassen. Ursula redet in einem fort, und Mechthild wird still und ärgerlich. Was kümmert es sie, was Ursula zu diesem und jenem meint? Sie redet wie die Herrin des Hauses, die zurückgekommen ist und sich darüber freut, festzustellen, dass alles in Ordnung ist.
Die jüngsten Töchter laufen als Erste die Treppe hinunter, bleiben vor der Tür stehen und rücken ihre Kleider zurecht. Sie streichen sich übers Haar, bevor sie hinaustreten in den blendenden Sonnenschein. Mechthild kommt direkt hinter ihnen, gefolgt von Hugo, der mehr der Gäste kennt als seine Mutter. Ein Schwatzen und Lachen liegt über dem Hofplatz, die Sonne brennt auf die Versammlung nieder, Gesichter glänzen und werden abgewischt, es riecht nach Schweiß und gebratenem Fleisch. Hildegard hält sich an Agnes und an ihre Schwestern, es ist schwül zwischen den fremden Beinen und Bäuchen und Händen. Die Stimmen verwickeln sich ineinander, werden zu steifem und undurchsichtigem Stoff. Sie packt Agnes' Hand, um nicht zu fallen, ringt nach Luft, aber niemand scheint ihre Bedrängnis zu bemerken. Erst als die Tür zum Haupthaus aufgestoßen wird und Hildebert mit seiner ältesten Tochter am Arm heraustritt, entsteht ein Augenblick gesegneten Friedens. Die Menschenmenge teilt sich, um die Braut hindurchzulassen.
Das Resultat mehrerer Tage harter Arbeit im Küchenhaus macht sich bemerkbar, als die schön angerichteten Platten voller Köstlichkeiten hereingetragen werden. Die Musikanten sind den ganzen Weg von Mainz herübergekommen, man hört den Klang von Flöten und Trommeln, eine Frau schlägt das Tamburin. Wenn sie sich zuckend im Takt bewegt, ähnelt sie einem Ziegenbock. An diesem Festtag wird nicht nur leichtes Bier, sondern auch Wein und Starkbier gereicht, das Mastkalb wurde an seinem Spieß goldbraun gedreht. Die Spanferkel gähnen über eingeritzten Äpfeln, in Honig glasiert und bis zum Bersten voll mit gut gewürzter Füllung, Lammtorten, gebratene Tauben und Rebhühner, nach Salbei duftendes Lammfrikassee, Gänseklein in dicker, süßer Soße, gesalzenes Hammelfleisch, Hackfrüchte in kunstvollen Mustern und kleine, gesalzene Pasteten, wie Tiere geformt.
Auf dem Hofplatz feiern die Leute aus dem Dorf und das Gesinde, das gerade nicht damit beschäftigt ist, zu bedienen. Aufgrund des festlichen Anlasses bekommen sie gute Fleischgerichte und in Honig gebackenes Brot auf hölzernen Platten und Starkbier in Kannen. Sie sind laut, beinahe ohrenbetäubend, werden aber vom Lärm aus dem Saal noch übertönt. Zusammen mit den Musikanten ist ein reisender Feuertänzer gekommen. Die Lichter werden gelöscht, und der Tanz kann sich vor dem Langtisch in voller Pracht entfalten. Benedikta stellt sich auf die Bank, um besser sehen zu können. Der Tänzer hat seinen Körper mit Fett eingeschmiert, und die Haut auf seinem nackten Oberkörper glänzt im Schein der Fackeln, die er in den
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