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Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Lise Marstrand-Jørgensen
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Hastig murmelte er die Gebete und sah Benedikta kaum an. Aber das Öl hat sie bekommen, und damit tröstet Mechthild sich.
 

 

24
      
Zwei Schläge der Kirchenglocke für Frauen, drei für Männer, Hildegard kennt das Läuten, wenn jemand gestorben ist, aber am Morgen nach Benediktas Tod ist es still. Eine morgendliche Stille, ein Keil aus erschöpfter Ruhe, eingehämmert zwischen das Entsetzen, das voranging, und das Entsetzen, das nachfolgt.
 
    Eine mit Stoff umwickelte, verwachsene Schmetterlingslarve wird aus der Kammer und an der Hofkapelle vorbeigetragen und auf den mit Stroh bedeckten Karren gelegt, den Hildebert selbst ziehen will.
 
    Die Sommererde öffnet sich der Schaufel, macht den Totengräbern die Arbeit leicht, ihre Knöchel leuchten, ihre Sachen sind fleckig von Erde und Staub.
 
    Vater Cedric steht am Grab, lässt in der Morgendämmerung heiliges Wasser darüber regnen, verleiht der Puppe, die dort unten bläulich schimmert, feine Flügel aus Erde. Wie bei der Hochzeit ist der Himmel das einzige Dach seiner Kirche. Obwohl er die Sprache spricht, die Hildegard kennt, sind seine Worte dunkel und fremdartig, heißen Kummer und Ewigkeit, und jedes einzelne Gesicht am Grab ist ein Tor, das nicht geöffnet werden kann.
 
    Das Grab wird zugeschüttet. Hildegard will weinen, damit der Kloß im Hals verschwindet, aber Mechthild schreit so, dass der Rest der Versammlung stumm bleibt. Sie schreit und schreit, und die Kiefern, die hagere Schatten über Benediktas Grab werfen, bewegen sich im Takt ihrer Klage.
 
    Die Seele, denkt Hildegard. Die Seelen, die niemals Frieden finden. Die ruhelosen, elenden, verfemten Seelen. Warum will ihr das niemand erklären? Der heilige Garten, das heilige Grab. Und die Flammen der Hölle, das Feuer, das Bäume zu Asche werden lässt, die Erde, die eine zur Puppe verwandelte Schwester nimmt. Hildegard krümmt die Zehen, um nicht zu fallen, und legt ihre kleine Hand in Hildeberts Faust.
 

 

25
      
Benedikta liegt in geweihter Erde, doch so weit weg von der Kirche wie möglich, bei denen, die im Kindbett gestorben sind. Sie hatte die Letzte Ölung bekommen, und obschon keine Rede davon sein konnte, eine richtige Zeremonie abzuhalten, hatte Vater Cedric am Grab das Gebet gelesen. Keiner der Hochzeitsgäste war zur Beerdigung gekommen, niemand wollte in Bermersheim bleiben. Nicht einmal Ursula hatte gefragt, ob sie helfen könne, Benedikta zu pflegen. Sie hatte sich eilig davongemacht, ganz so wie alle anderen, hatte sich nicht einmal damit aufgehalten, eine Entschuldigung vorzubringen.
    Jeden einzelnen Tag geht Mechthild hinunter zum Grab, berührt das Holzkreuz über Benediktas Kopf. Sie achtet sorgfältig darauf, nicht zu viele Pflichten auf dem Hof zu versäumen, überlässt aber doch mehr als üblich den anderen. Als die Zwillinge starben, war sie wahnsinnig vor Kummer, und Vater Cedric verbot ihr, ihre Namen auszusprechen. Damals sprach er belehrend zu ihr über die Gaben des Herrn, die Strafe des Herrn für die Sündigen, die Hand des Herrn, die gibt und nimmt. Sie hatte sich an die Hoffnung geklammert, bald wieder ein Kind in sich zu tragen, und der Herr hatte ihre Gebete erhört und ihr Hildegard geschenkt.
    Benediktas Grab ist ein Strudel in einem Strom, der Bäume und Laute dazu bringt, sich zu drehen, schneller und schneller, bis die ganze Welt in das schäumende Wasser gesogen wird. Im Auge des Strudels muss man sich sinken lassen, dort verliert man alle Sinne, und Mechthild ruft stumm den Herrn an. Aber Gott bleibt ihr verborgen, ist nicht zu finden in der flirrenden Spätsommerhitze, in der die Luft über den Steinen der Mauer wogt. Die eindringlichen Gebete der ersten Wochen verstummen, die Kiefern beugen sich wehmütig zueinander, ein dunkelgrünes Kirchengewölbe. Mechthild stiert und stiert auf den Erdhaufen, der langsam zusammensinkt. Stundenlang steht sie da, während ihre Füße Wurzeln schlagen. Ihr Herz schlägt Wurzeln in der Erde des Friedhofs, ein Netz aus Wurzeln, das an ihr reißt und zerrt, wo sie geht und steht, dichter zusammenwächst und tiefer wird, Nahrung findet in Gottes hartnäckigem Schweigen. Die Hitzewelle wird von Tagen mit heftigem Regen abgelöst, und sie steht dennoch da, schwer und gebückt in einem einfachen Kleid, das sie wie eine Bauersfrau aussehen lässt. Steht halb im Schutz der Bäume, während der Boden die Nässe aufsaugt, bis Klumpen trockener Erde nachgeben und zu weichem, schwarzem Matsch zusammenfallen.

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