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Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Lise Marstrand-Jørgensen
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Mechthild sehnt sich danach, das Gras möge das Grab übernehmen, danach, das Blumen ihre Samen säen, am Holzkreuz emporwachsen, es auseinanderreißen. Schwarze Galle steigt von den toten, zu Humus gewordenen Körpern auf und verrußt die Rinde der Bäume, gelbe Galle durchdringt die Luft, gibt dem Himmel einen unnatürlichen Schein, bis er in einem Spätsommergewitter zerbirst.
    Nur weil sie jeden Tag aus ihrem Bett aufsteht und ihren Pflichten nachkommt, wagt niemand, etwas zu ihr zu sagen. Könnten sie ihre Gedanken sehen, würden sie erschrecken. Dort drinnen spricht sie nicht länger mit Gott, dort reißen Raubvögel Joachim die Eingeweide heraus, während er noch am Leben ist, dort schneidet sie ihm sein Glied mit einem Messer ab. Sie versteht den Willen des Herrn nicht und ertappt sich bei dem Gedanken, er wolle ihr Böses. Damals bei den Zwillingen sprach Vater Cedric darüber, wie Gott dem Satan erlaubte, Hiob zu peinigen, und wie der Satan behauptete, Hiob werde den Herrn verfluchen, wenn ihm alles genommen werde. Dennoch betete Hiob weiter den Herrn an und unterwarf sich seinem Willen. Damals war es ein Trost gewesen, von den Leiden eines anderen und seiner Treue zu Gott zu hören. Nach Benediktas Tod taumelt sie blind herum und sucht nach Linderung, findet sie aber nirgendwo. Sie denkt an Hiob, der den Tag seiner Geburt verfluchte und wünschte, er wäre im Bauch seiner Mutter gestorben. Sie denkt, dass selbst die ungetauften Zwillinge glücklicher waren als Benedikta, glücklicher als sie selbst, die den Rest ihres Lebens von zerrissenen Bildern der Erinnerung an ihre misshandelte Tochter heimgesucht werden wird. Sie durchwühlt ihren Verstand, um herauszufinden, womit sie Gott gekränkt hat, warum er sie so hart straft. Sie denkt an Hiob, der nicht verstand, welche Freude Gott an seinen Leiden haben konnte, sie denkt an Hiob, der Gott bat, ihn verstehen zu lassen, was sein Vergehen war, warum er zu solchem Leid verurteilt war, warum Gott überhaupt Unglück und Ungerechtigkeit geschehen ließ, wenn alle Macht in seiner Hand lag.
    Bald plagt sie auch die Schuld, Gottes Güte in Zweifel zu ziehen. Eines Nachts, als sie verwirrt und von Träumen verfolgt aufwacht, durchzieht ein scharfer Geruch nach Verbranntem die Kammer, und sie ist sicher, einen Augenblick lang den Schwanz des Teufels um den Bettpfosten herum verschwinden zu sehen.
    Am nächsten Morgen sucht sie Vater Cedric auf. Sie kommt auf der Suche nach Trost, aber er spricht hart zu ihr. Er will nichts hören von Benedikta, überhaupt nichts, ermahnt sie nur, es nicht Mord zu nennen, da niemand das Mädchen um Hilfe rufen gehört hat.
    »Du feilschst mit dem Herrn«, sagt er, »aber der Herr ist niemandes Diener. Der Herr sieht durch fromme Taten, sieht direkt in unsere schwarzen Herzen.«
    Als sie nach Hause geht, ist sie doppelt verzweifelt. Nach dem Tod der Zwillinge sagte Vater Cedric, sie solle ohne Sorge sein, da sie Hoffnung habe, und in der Hoffnung werde Christus die Hand ausstrecken. Sie weiß, dass es verkehrt ist, die Hoffnung aus einem Priester herauszwingen zu wollen. Ob Benedikta um Hilfe gerufen hat, weiß niemand, aber keiner, der seine fünf Sinne beisammen hat, kann glauben, dass sich ein junges Mädchen freiwillig einer solchen Misshandlung unterwerfen würde. Im Dorf wird geredet, aber Vater Cedric hat Benedikta mit eigenen Augen gesehen, als sie krank und gequält bis zum Äußersten niederlag. Trotzdem spricht er so. Drohend hebt Mechthild die Faust in die Luft, droht Vater Cedric und Joachim, droht ihrer eigenen Treulosigkeit und dem Herrn selbst.
 
    Mechthild wird zu einer Schlafwandlerin, die das Gesinde und ihre Kinder kaum beachtet. Wenn sie ihnen einen Gedanken schenkt, dann nur in der Hoffnung, sie mögen sie zufriedenlassen. Sie mögen verheiratet werden, ins Kloster gehen, fortgehen, sodass sie sich ihrem Kummer hingeben kann. Hildebert ist auf Befehl des Herzogs auf dem Weg nach Sponheim. Der alte Kaiser Heinrich IV . war im Jahr zuvor gezwungen worden abzudanken, und nun ist er gestorben. Sein Sohn, Heinrich V ., der formell auf dem Thron sitzt, seit er dreizehn ist, reell aber keine Macht hatte, begehrte gegen seinen Vater auf. Obwohl es viele gibt, die dem alten Kaiser keine Träne nachweinen, weiß man nie, worauf der neue König verfällt, um seine Stärke zu zeigen. Der Herzog von Sponheim unterstützte den Aufruhr gegen den alten Kaiser, und das ist Hildeberts Glück. Es gab Aufruhr in Köln, und auch an

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