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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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ihren Willen aus, gütig zu sein, und brachte sie auch nicht vom steten Gedanken ab, was von ihr bliebe, wenn sie sich an nichts erinnern könnte.
    Eines Tages glaubte Gisla die Antwort zu finden. Nun, da der Frühling immer heftiger mit dem Winter stritt, da in Thure weiter keine Bosheit erwachte und Runa eifrig am Schiff baute, begann sie wieder zu singen und wusste plötzlich, dass sie selbst dann noch singen würde, wenn sämtliche Erinnerungen ausgelöscht wären. Sie sang abends, wenn sie nähte, und tagsüber, wenn sie am Strand entlangging und die Sonnenstrahlen auf dem Meer glitzerten. Für gewöhnlich brach Gisla ab, wenn sie Thure zu nahe kam, eines Tages jedoch nicht.
    »Warum tust du das?«, fragte er.
    Sie errötete verlegen. »Warum ich singe?«
    »Warum gibst du mir Essen und Kleidung?«, gab er zurück. »Deine Gefährtin ... verabscheut mich. Du tust es nicht.«
    Gisla war sich nicht sicher, ob tief in ihr nicht auch noch Hass rumorte. Aber ob des Singens und des Frühlings schwand er stetig, und alles Elend, das Thure über sie gebracht hatte, schien nur mehr ein böses Märchen aus seinen wirren Träumen zu sein.
    »Man muss so sein«, erwiderte sie ernsthaft. »Langmütig und gütig ist die Liebe; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles. Und so müssen wir gegeneinander gütig sein, mitleidig und vergebend.«
    Thure sagte eine Weile nichts, forderte sie lediglich auf, weiterzusingen. Sie konnte es nicht länger, verneinte seine Bitte und ging hastig von ihm fort.
    Trotz allen Glaubens, Hoffens und Liebens war sie fest entschlossen, Runas Ratschlag zu beherzigen, nicht allein mit ihm zu bleiben.
    Das Schiff sah nicht aus wie ein solches, aber es wirkte stabil. Es war Runa nicht gelungen, ihm eine Form zu geben, aber sie hatte die Spalten zwischen den Holzstücken ausreichend abgedichtet, sodass kein Wasser hindurchdringen würde. Der Mast, den sie errichtet hatte, war nicht sonderlich hoch, aber hoch genug, um ein Fell anstelle eines Segels daranzuhängen.
    Ohne Zweifel, das Schiff war kein Kunstwerk - aber zum Überleben war Schönheit nicht unabdingbar, und Runa war stolz darauf, zumindest stolz genug, um ihr Werk eines Tages herzuzeigen.
    Gisla sollte es sehen - Thure natürlich nicht. Je mehr Zeit verrann, desto leichter fiel es ihr zu glauben, dass er sich tatsächlich an nichts erinnern konnte, aber das änderte nichts daran, dass das Schiff ihr gehörte, ein wenig auch Gisla, aber keinesfalls ihm.
    Wie es aussah, konnte Gisla allerdings gern auf ihren Anteil verzichten. Sie ging um das Ungetüm aus Holz, nein, sie schlich vielmehr herum, so vorsichtig, als würde ein zu energischer Schritt genügen, es augenblicklich bersten zu lassen. Offenbar wagte sie auch nicht zu reden, denn bis jetzt war kein einziges Wort der Anerkennung über ihre Lippen gekommen, und auch das stolze Lächeln, das auf Runas Gesicht stand, erwiderte sie nicht.
    »Wie sollen wir damit die lange Fahrt überstehen?«, fragte Gisla so zögerlich, wie sie geschlichen war, endgültig bekundend, dass Runas Traum nie ihrer gewesen war und deren Kampf um Schiff und Heimat in ihr nicht den gleichen Willen weckte, ihn zu bestehen.
    Runa reckte stolz den Nacken: »Lass das nur meine Sorge sein.«
    Gisla presste ihre Lippen aufeinander und senkte den Blick. Als sie ihn endlich hob, stand immer noch nicht die erwartete Anerkennung darin, nur Angst - und ein wenig Trotz, wie Runa schien.
    »Aber wir haben es doch gut hier ...«, brachte sie hervor.
    Eben noch hatte Runa ihren Ärger ob der fehlenden Begeisterung verbergen können. Diese zweifelnden Worte jedoch ließen jede Nachsicht schwinden.
    »Was meinst du?«, fuhr sie sie an.
    Gisla senkte ihren Kopf wieder - doch so weit, auch zu schweigen, reichte ihre Scheu nicht. »Wir frieren nicht«, sagte sie leise, aber entschlossen, »wir hungern nicht, wir haben ein Dach über dem Kopf, und seit ... Thure da ist, sind wir nicht mehr ganz allein. Warum sollen wir riskieren, im Meer zu ertrinken?«
    Obwohl sie nicht in die blauen Augen sehen musste, ertrug Runa ihren Anblick nicht. Mit einem wütenden Keuchen fuhr sie herum, starrte aufs Schiff und suchte daraus den Mut zu ziehen, den Gislas Worte ihr raubten. Eben noch hatte sie sich nicht daran gestört, wie hässlich und unförmig dieses Gebilde aus Holz war, nun sah sie es mit Gislas Augen und sah wie Gisla die Wahrheit.
    Dein Schiff taugt nichts ...
    Es zu denken war jedoch etwas anderes, als es auch zu

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