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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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sagen.
    »Bei uns gibt es eine alte Redensweise«, schrie sie. »Wer vorhat, einen Raubzug zu unternehmen, muss sich für einige Zeit auf eine Reise begeben. Denn der Wolf, der sich nahe der Höhle aufhält, wird nie Fleisch haben, und so auch nicht der Mensch, der von seinem Sieg nur träumt.«
    Endlich hob Gisla den Kopf. Runa zu widersprechen fiel ihr immer noch sichtlich schwer, aber seit sie sich durchgesetzt hatte, Thure Essen zu bringen und ihn in der Vorratskammer schlafen zu lassen, war sie nicht mehr so kleinlaut und willfährig wie einst.
    »Von welchem Sieg redest du?«, fragte sie.
    Nun begann Runa das Schiff zu umkreisen, und anders als Gisla hieb sie die Füße in die Erde. Bröckchen stoben in die Luft, regneten auf sie herab. Der Ärger schmeckte gallig in ihrem Mund, aber noch bitterer war die Verzagtheit, die jäh in ihr aufstieg und die bis jetzt immer nur Gisla an den Tag gelegt hatte. Nun schwappte sie wie eine Woge sumpfigen Wassers auf sie über.
    »Mein Vater hat mich gewaltsam verschleppt.« Runas Stimme brach, nur mehr heiser fügte sie hinzu: »Aber er soll nicht das letzte Wort haben.«
    Sie schluchzte auf und schlug sich zu spät auf den Mund, um den Laut zu unterdrücken. Gemessen an ihrer rauen Stimme war die von Gisla ganz sanft. Auch ihre Hand war sanft, als sie zu ihr trat und ihr über den Arm strich.
    »Dein Vater hat dich verschleppt - und mein Vater mich seinem einstmals schlimmsten Feind geben wollen. Und sein engster Vertrauter wollte mich ermorden lassen.«
    Runas Augen brannten, aber sie schluckte ihre Tränen. »Und das bedeutet, dass wir von hier fliehen müssen!«, rief sie.
    Gisla schüttelte den Kopf. »Das bedeutet nur, dass man nicht immer gewinnen und nicht immer das letzte Wort haben kann.«
    Runa schüttelte rüde ihren Arm ab. »Heimskr nennen wir in unserer Sprache die Dummen. Und in heimskr steckt das Wort Heim. Weil die Daheimgebliebenen dumm sind! Ja, du bist dumm, wenn du hierbleiben willst.«
    »So ist es also klug, mit einem Schiff zu reisen, das sicherlich kentern wird?«, fragte Gisla leise.
    Noch heftiger rammte Runa ihre Fersen in die Erde, noch höher stoben die Bröckchen. Zaghaft hatte das erste Gras zu wachsen begonnen, doch sie zertrat es achtlos und hätte es am liebsten mit ihren schwieligen Händen, die von so viel harter Arbeit kündeten, ausgerissen.
    »Ich habe mich den ganzen Winter über geplagt! Ich habe geschuftet wie noch nie, während du es im Haus warm hattest! Und jetzt willst du meine Arbeit schlechtmachen?«
    Ihre Stimme kippte, bekam einen hohen, kreischenden Ton, den sie kaum ertrug. Noch weniger jedoch ertrug sie Gislas Beben, das diese nun überkam.
    »Ich will sie nicht schlechtreden«, rief ihre Gefährtin flehentlich. »Aber ich habe Angst.«
    Gislas Augen füllten sich mit Tränen, die nun unablässig über ihre Wangen perlten - kein Anblick, der Runa beschwichtigte, der sie eher noch mehr aufwühlte. Gisla stahl ihr einen Kummer, der ihr nicht zustand, und stahl die Gewissheit, das Richtige getan zu haben, als sie sich am Schiff abrackerte.
    »Du hast doch immer Angst«, rief Runa. »Vor allem und vor jedem! Meinetwegen - dann bleib hier! Ich brauche dich nicht, um heimzukehren! Ich habe dich nie gebraucht. Wärst du auf dich allein gestellt gewesen, wärst du längst tot. Wäre ich hingegen von deiner Last befreit, wäre ich viel besser dran.«
    »Ich habe dich in Laon aus dem Kerker befreit!«, hielt Gisla schluchzend dagegen.
    »In den ich nur deinetwegen gesperrt wurde!«
    »Runa, bitte!«
    Gisla trat ganz dicht an sie heran. »Sei nicht böse zu mir. Du stehst mir so nah ... du bist wie eine Schwester für mich ...«
    In all den Monaten, die sie miteinander verbracht hatten, hatten sie nie ausgesprochen, was sie einander bedeuteten. Sie hatten auch nie gestritten. Dass beides jetzt zusammenfiel, machte es für Runa unerträglich.
    »Ja«, wiederholte Gisla, »du bist wie meine Schwester.«
    »Ich habe keine Schwester!«, schrie Runa. »Ich werde nie eine haben! Aber ich habe eine Großmutter, und sie ...«
    »Und sie ist tot, und du hast keine Heimat mehr«, brachte Gisla den Satz zu Ende.
    Dann weinte sie wieder, indessen Runa vermeinte, ihre Kehle würde zerreißen, weil sie das Schluchzen so heftig unterdrückte.
    Deine Heimat ist verloren.
    Dein Schiff taugt nichts.
    Deine Großmutter ist tot.
    Sie öffnete den Mund, aber es fiel ihr nichts ein, um all dem zu widersprechen. Das Einzige, was ihr einfiel, war, die

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