Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
Fjords, an dem sie aufwuchs, schwimmen wird. Und Gisla ist eine Königstochter, die von ihrem Vater verschachert wurde, die seit Monaten durch diese raue Welt irrt und die von einem Nordmann geschändet wurde, der Spaß daran findet zu zerstören. Wo siehst du hier Feinde? Wo siehst du hier jemanden, der dir irgendetwas genommen hat?«
Taurin öffnete den Mund, schien um Worte zu ringen, aber heraus kam nur ein raues Knurren.
Gisla hatte den Tag über keine Träne geweint. Aber Runas Worte rührten sie; sie klangen traurig, aber gefasst, verhießen so Entsetzliches und so Trostloses, jedoch auch den festen Willen, sich der Welt entgegenzustellen. Sie schluchzte auf.
»Hör zu weinen auf!« Runa fuhr herum. »Du bist nicht mehr allein. Tränen schwächen das Kind in deinem Leib - und dich selbst schwächen sie auch. Du musst stark sein, wenn du das Kind gebären willst. Und das Kind muss stark sein, wenn es auf dieser Welt überleben will.«
Adarik hielt seine Hände über das wärmende Feuer - ein Labsal nach all dem Schrecklichen, das hinter ihm lag.
Manchmal war ihm in den letzten Monaten der Verdacht gekommen, dass der heilige Remigius ihn tatsächlich bestrafte und dass Gislas gewaltsamer Tod - ob nun dabei Blut geflossen war oder nicht - laut genug zum Himmel schrie, auf dass ihn von dort die Rache ereilte.
Manchmal dachte er sich auch, dass nicht Remigius' Fluch all das Unglück über ihn gebracht hatte, sondern jener grässliche, narbige Nordmann.
Für einen guten Fang hatte er diesen zunächst gehalten. Seine Männer hatten ihn zwar gefoltert und gequält, bis die wenige noch heile Haut in Fetzen von seinem Leib hing - notwendig wäre das aber nicht gewesen. Er erzählte ihnen freiwillig alles über die Kultur der Nordleute, ihr Recht, ihre Götter und über ihre Taktik bei Angriff und Kampf. Adarik lauschte aufmerksam und merkte sich, was nützlich sein würde - für die Zeit, da der Friede brach. Und diese Zeit würde kommen. Seit er lebte, hatte sich der Friede als so wenig ausdauernd erwiesen wie das Gefühl, mit sattem Magen wohlig in der Sonne zu liegen. Der Hunger kehrte immer allzu bald zurück, der Regen und der beißende Wind auch.
So oder so - die Freude über das viele neue Wissen währte nicht lange.
Ehe seine Leute den grässlichen Narbigen endgültig totgeschlagen hatten, stießen sie mit einer Truppe Nordmänner zusammen - diese zum einen in der Überzahl und zum anderen nicht bereit, auf seine Erklärung zu hören, wonach er zu Recht in ihrem Land war. Am Ende war Adarik nichts anderes übrig geblieben, als sich ihnen kampflos zu ergeben.
Sie wurden nach Rouen geschafft, landeten dort nicht vor Rollo, sondern im Kerker, blieben dort über Wochen der Kälte, der Todesangst, der Hoffnungslosigkeit preisgegeben. Haganos Verwandtschaft, auf die er pochte, hatte keinen Wert, die stets wiederholte Beteuerung, sie hätten nur das fränkische Grenzland sichern wollen, stieß auf taube Ohren. Sein Glück war Rollos Taufe, dank derer er und die Seinen begnadigt wurden. Sein Pech war, dass sich keiner der Nordmänner die Mühe machte, den Gnadenakt sofort zu vollziehen, sondern sie einfach vergessen wurden. Und als ihm endlich der Geruch von Erde in die Nase stieg, nicht länger nur der modrige nach verfaultem Stroh, war es nach dem langen Hocken unendlich schmerzhaft, die ersten Schritte auf dieser Erde zu tun.
Natürlich hatte man ihre Pferde einbehalten. Einzig die Waffen hatte man ihnen zurückgegeben, womit sie nun, einige orientierunglose Tage später, Wild erlegt hatten. Während das Fleisch über dem Lagerfeuer briet, hörte man nur das Knacken des Holzes und das Zischen des Fettes. Die lange Haft hatte sie alle wortkarg gemacht. Sie blickten sich nicht in die Augen, sondern starrten auf ihre Hände. Und Adarik hatte ständig das Gefühl, sich ducken zu müssen, nachdem er sich im niedrigen Kerker so oft den Kopf angeschlagen hatte.
Er war darum erstaunt, dass er trotz der steifen Glieder blitzschnell auf den Füßen war, als plötzlich ein anderes Geräusch als das Prasseln des Feuers erklang - das Rascheln von Blättern nämlich, das Knacken von Ästen. Er hatte seine Waffe noch nicht gezogen, als etwas vom Baum fiel, in dessen Schatten sie hockten. Oder nein ... es fiel nicht vom Baum ... es hing daran. Da waren zwei Hände, die den Ast umfassten, und ein Leib, der hin- und herpendelte.
»Wer ist da?«, brüllte Adarik. Die lange Gefangenschaft hatte ihn schreckhaft gemacht - und
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