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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Last!«
    Runa griff nach ihrem Messer, und kurz hatte Gisla Angst, sie würde damit auf sie losgehen. Doch sie fuchtelte mit der Waffe nur vor ihrem Gesicht herum.
    »Er hat dir Gewalt angetan, weil du dich nicht gewehrt hast!«, schrie Runa. »Ich hätte dir gezeigt, wie man das Messer zu werfen hat, aber du wolltest es nicht lernen!«
    »Er hat mir etwas zu trinken gegeben, was mich betäubt hat«, hielt Gisla dagegen. »Ich hätte mich nicht wehren können, selbst wenn ich gewusst hätte, wie man ein Messer wirft. Ich war nicht bei Sinnen!«
    Runa schüttelte heftig den Kopf. »Ich hätte niemals etwas getrunken, was Thure mir gibt. Und selbst im Schlaf hätte ich mich zu wehren gewusst. Weil ich es gelernt habe. Weil ich es geübt habe. Weil ich stets auf der Hut bin.«
    Gisla senkte ihren Blick. »Du hast mich an diesem Tag geschlagen«, murmelte sie.
    »Und du hast gesagt, dass mein Schiff nichts taugt!«
    Runa schrie jetzt nicht mehr.
    »Vielleicht taugt das Schiff doch«, sagte Gisla leise, obwohl sie nicht daran glauben konnte.
    Rüde riss sich Runa von ihr los. »Und selbst wenn es taugte - wir können unmöglich diese Reise antreten! Wie soll das denn gehen in deinem Zustand? Oder gar später - mit dem Kind?« Sie stampfte mit den Füßen auf. »Am liebsten würde ich dich allein hierlassen. Du hättest es verdient, so dumm wie du bist.«
    Runa hob drohend die Faust, doch ihre Miene war verzagt. Ohne noch etwas zu sagen, wandte sie sich ab und stürmte aus dem Haus. Gisla rang damit, ihr zu folgen, blieb dann aber zurück, nicht sicher, was größer war - die Angst, dass Runa sie erneut als dumm beschimpfte, oder dass sie sie wieder schlagen würde.
    Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass Taurin ihren Streit mitangehört hatte und dass er, so höhnisch und verächtlich wie er blickte, wusste, dass sie ein Kind bekam. Einen Bastard. Gisla sah ihn an. Nichts konnte schlimmer sein, als ein Kind von Thure zu bekommen, auch nicht der Hass dieses Mannes, der sie jetzt mit seiner ganzen Wucht traf. Sie hasste sich ja selbst. Kurz hoffte sie, es würde genügen, um daran zu verbrennen, aber sie verbrannte nicht.
    Runas Messer lag auf dem Boden, sie musste es fallen gelassen haben, als sie hinausgestürmt war. Gisla hob es auf, markierte eine freie Stelle auf der Holzwand und zielte darauf. Am Anfang schoss das Messer weit an der Markierung vorbei. Später prallte es zwar an der richtigen Stelle auf, aber blieb nicht stecken. Irgendwann steckte die Spitze direkt im Ziel. Gisla zog das Messer aus dem Holz, warf es wieder und wieder, bis sie blind traf. Es wurde Mittag, es wurde Abend, ohne dass Runa zurückkehrte.
    Gisla hatte an diesem Tag noch keine Träne vergossen.
    Runa lief und lief, und ohne dass sie ein Ziel vor Augen hatte, fand sie sich plötzlich an ihrem Schiff wieder. Seit dem Tag, da Taurin aufgetaucht war und Thure sich wieder erinnern konnte, hatte Runa nicht mehr daran gebaut. Nun arbeitete sie verbissen und unermüdlich weiter. Sie stopfte die letzten Ritzen, brachte den Mast an und begab sich an die Feinarbeiten. Zum Schluss machte sie den Drachenkopf, den sie im Winter geschnitzt hatte, am Steven fest. Erst dann hielt sie wieder inne und begutachtete ihr Werk.
    Der Drachenkopf schien sie bösartig anzustarren. Sein Blick erinnerte sie an den Thures. Runa ballte ihre Hände zu Fäusten und begann, laut auf ihn zu fluchen.
    »Von Anfang an hast du meine Heimkehr vereitelt!«, schrie sie in die Stille. »Weil du immer alles vereiteln willst! Immer alles zerstören, einem das Leben unendlich schwer machen! Auf dass jeder sehen soll, dass auf dieser Welt nichts auf Dauer gelingt!«
    Ja, sie musste es sich endgültig eingestehen: Es war ihr nicht gelungen, ein taugliches Schiff zu bauen. Sie würde nicht heimkehren.
    Wütend hämmerte sie auf den Drachenkopf ein, nicht nur heftig, auch blind. Sie schlug sich auf die Hand, die Haut platzte auf, das Blut tropfte. Runa schrie vor Schmerzen - und sie blickte der ganzen Wahrheit ins Gesicht. Ihr Trachten war von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen. Nicht nur, dass es ihr nicht gelang, ein taugliches Schiff zu bauen, sie würde es niemals zum Meer ziehen können, selbst wenn es ihr gelänge. Und sie hätte keine Ahnung, in welche Richtung sie es lenken müsste, wenn es dann doch auf dem Wasser läge. Ihre Heimat lag im Norden, aber wo im Norden genau, das wusste sie nicht.
    Den ganzen Winter über hatte sie einem Traum nachgehangen - dem Traum, dass man

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