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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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sein Augenlicht getrübt.
    Es dauerte eine Weile, bis er erkannte, dass das baumelnde Ding ein Mensch war. Oder vielmehr eine Kreatur aus der Hölle.
    Kaum dass er ihn erkannte, war er sich gewiss, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging - ob nun Remigius ihn einmal mehr strafte, sich Luzifer einen Spaß erlaubte oder die heidnischen Götter, grausamer und spöttischer als Christus, ihre Hände im Spiel hatten.
    »Verflucht!«, brüllte er.
    »Was kriege ich! Was kriege ich!«, antwortete das baumelnde Wesen.
    Die Stimme klang unangenehm kreischend. Am liebsten hätte Adarik dem Mann ... der Kreatur sofort die Kehle durchgeschnitten, doch noch hing sie zu hoch, um nach ihren Beinen fassen zu können.
    »Was kriege ich, was kriege ich?«, kreischte er in einem fort.
    Thure.
    Der Narbige.
    Als sie mit der Truppe Nordmänner zusammengestoßen waren, hatten die ihn einfach liegen lassen - in der Gewissheit, dass er bald sterben würde. Vielleicht aber konnte einer wie er nicht sterben, vielleicht hatte er nie wirklich gelebt, sondern war von Anfang an nur ein verwunschener Geist gewesen.
    »Was kriege ich?«
    Der Wunsch, Thure zu töten, blieb, doch hinzu kam Neugier. »Wofür kriegst du was?«, fragte Adarik verwirrt.
    Nun endlich ließen die Hände den Ast los. Polternd fiel Thure zu Boden, drehte sich ob der Wucht des Aufpralls einmal um die eigene Achse, kam alsbald aber wieder auf die Beine und hüpfte - ohne das geringste Anzeichen, dass ihn die Knochen nach dem Sturz schmerzten - auf und ab. Er war hässlich wie eh und je, aber nicht geschwächt wie bei ihrer letzten Begegnung. Irgendwie hatte er die Qualen der Folter und die bittere Winterkälte überstanden.
    Adarik hob sein Schwert, und Thure duckte sich nicht einmal, als die Klinge auf ihn herabsauste. Nur wenige Augenblicke ehe sie seine Kehle durchschnitt, schrie er: »Was kriege ich dafür, wenn ich dir helfe, sie zu finden?«
    Adarik zog das Schwert im letzten Augenblick zurück. »Wen ... wen sollen wir finden?«
    Thure gab vor, lange nachzudenken. Er sah wohl in Adariks Augen, dass der ihn nun nicht mehr töten und er sich darum die Zeit nehmen konnte, ihn auf die Folter zu spannen.
    »Sag schon!«, brüllte Adarik.
    Thure dachte nicht länger nach. Er lachte. »Gisla und Runa - sie leben noch. Und ich weiß, wo.«

K LOSTER S AINT -A MBROSE IN DER N ORMANDIE H ERBST 936
    Er hatte sich verändert, die Äbtissin wusste nicht genau, wie. Natürlich war er älter geworden: Dieser federnde, lautlose Schritt fiel etwas steifer und schwerfälliger aus, der muskulöse Leib war um die Schultern geschrumpft und um die Leibesmitte gewachsen, das Haar war schlohweiß. Doch das war es nicht, was aus ihm einen anderen gemacht hatte. Fremder noch als all das waren seine Augen: drängend, fordernd, verzweifelt, hasserfüllt hatten sie einst geblickt - jetzt nicht mehr. Menschen, die diesen Mann mochten, würden seinen Blick als abgeklärt benennen. Für sie, die ihn hasste, war er verschlagen.
    Selbst wenn er älter geworden war und sich verändert hatte, blieb er ihr Feind. Und ob seine Augen nun denen eines Habichts oder denen einer Katze glichen - auch Zweitere konnte beißen und kratzen.
    Bis jetzt hatten weder er noch sie ein Wort gesagt. Sie straffte ihren Rücken, trat ihm entgegen und hob zugleich die Hand in Arvids Richtung.
    »Geh!«, befahl sie.
    Anders als vorhin die Subpriorin gehorchte Arvid nicht. Steif blieb er stehen, als er dem Feind entgegenblickte. Er tat ihm nicht den Gefallen, ihm seine Angst zu zeigen. Die Äbtissin bewunderte ihn für den Mut und war dankbar für den eigenen. Sie zitterte nicht, schwankte nicht, wusste nur: Dies war einer der schlimmsten Feinde, jedoch der einzige, der noch lebte.
    Hagano hatte ein unrühmliches Ende genommen, nachdem er den Bogen überspannt und die Großen des Reichs gegen sich aufgebracht hatte.
    Popa war seit vielen Jahren tot - und nicht als Konkubine gestorben, sondern als Frau des Rollo. Die Ehe war nicht auf christliche Weise geschlossen worden, sondern nur more danico, nach dänischer Sitte, und für die Kirche würde sie darum immer seine Geliebte bleiben. Aber selbst die Kirche wagte nicht, ihren Sohn Wilhelm und ihre Tochter Gerloc Bastarde zu nennen.
    Rollo selbst lebte auch nicht mehr. Wobei dieser nie ein Feind gewesen war und nie geahnt hatte, dass die früh verstorbene Verlobte eine falsche gewesen war.
    Tot waren sie in jedem Fall alle - nur dieser hier lebte noch, obwohl er

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