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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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nicht stirbt, wenn man sich als mutig erweist, dass man vom Leben nicht geknickt wird, wenn man ihm die Faust zeigt, und dass man mit starkem Willen den Lauf der Welt ändern kann. Aber der Lauf der Welt glich einem mächtigen Fluss, und dieser Fluss war so viel lauter als ihre Verzweiflung und ihre Hoffnung. Sie konnte nichts tun, als in diesen Fluss zu spucken und einzusehen, dass auch Mutige starben und Starke zugrunde gingen, Kreaturen wie Thure hingegen davonkamen, und dass der eigene Wille - so man in den Fluss geworfen wurde - bestenfalls ausreichte, um den Kopf über Wasser zu halten. Bestimmen, wohin man gespült wurde, aber konnte man nicht, was bedeutete, dass ihre Rechnung so wenig aufgegangen war wie die von Gisla. Für sie hatte es sich nicht gelohnt, gut zu Thure zu sein, auf dass er auch gut zu ihr wäre. Und für sie hatte es sich nicht gelohnt, jeden Tag an einem Schiff zu bauen, auf dass es sie nach Norvegur brachte.
    Die Einsicht stimmte sie erst verzweifelt, dann nahm Runa die Axt und schleuderte sie auf den Drachen, ergriff das große Messer und stieß es in die Planken, trat mit Füßen und Fäusten gegen das Holz, bis es knackte und zerbarst.
    Endlich verstand sie Thure - verstand, dass zu zerstören ein Weg war, das Leben zu ertragen, und vielleicht der einzige, um den Strudeln des reißenden Stroms zu trotzen. Auch wenn man zerstörte, wurde man in die Tiefe mitgerissen, doch wenn man sich mit ihnen drehte, konnte man aus Tod und Vernichtung einen Tanz machen.
    »Es tut mir leid, Großmutter«, schluchzte Runa, als sie erschöpft innehielt, »es tut mir so leid.«
    Sie wollte Asruns Bild heraufbeschwören, doch sie sah nicht die Großmutter, sondern sah in Taurins leere, traurige Augen, fühlte seinen Verlust und seine Trauer um die verlorene Heimat. Jahre musste das zurückliegen, und doch war sein Kummer nicht verjährt.
    Werde ich auch so lange brauchen, bis ich den Verlust der Heimat verwunden habe?, ging ihr plötzlich durch den Sinn. Werde ich auch Rache schwören, ob nun gegen Gisla oder Thure oder Taurin? Werde ich hassen, bis nichts Menschliches mehr von mir bleibt?
    Oder werde ich aufgeben?
    Wieder schlug Runa auf das ein, was vom Schiff übrig geblieben war. Eine Wolke aus Holzstaub hüllte sie ein.
    »Was tust du da?«, hörte sie eine Stimme hinter sich.
    Runa hielt inne und fuhr herum. Von ihrer verletzten Hand tropfte Blut, von ihrer Stirn der Schweiß. Erst jetzt nahm sie wahr, dass es schon dämmerte, und in der Dämmerung stand kein anderer als Gisla.
    Bevor Runa eine Antwort geben konnte, hob Gisla ihre Hand und schleuderte ein Messer. Es traf das Auge des Drachenkopfs. Runa konnte kaum fassen, was sie sah, aber sie war zu erschöpft, um darüber nachzudenken. Sie bückte sich, um das Messer aus dem Holz zu ziehen, strich erst über die Waffe, dann über das Holz - Holz, das sie gefällt, entrindet und unter unglaublichen Mühen zusammengezimmert hatte.
    »Ich werde niemals wieder heimkehren nach Norvegur«, sagte sie. »Vielleicht werde ich jung sterben, vielleicht werde ich alt werden. Vielleicht werde ich im Wald leben oder weiter an der Küste. Vielleicht werde ich allein sein oder mit anderen vereint. All das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich die Heimat meiner Ahnen nie wieder betreten werde.«
    Schweigend erreichten sie das Haus. Gisla wagte es kaum, Runa anzusehen. Sie hatte immer gehofft, dass Runa den Traum vom Schiff aufgeben und entscheiden würde zu bleiben, doch dass sie das Schiff nun vollkommen zerstört hatte, erschütterte sie.
    Taurin hob den Kopf, als sie kamen, und funkelte sie an.
    »Warum hasst du mich so?«, fragte Gisla. »Warum wolltest du mich töten?«
    Taurin presste trotzig seine Lippen zusammen.
    Zu Gislas Erstaunen antwortete jedoch Runa an seiner statt. »Er will mit aller Macht verhindern, dass zwischen den Nordmännern und den Franken Frieden herrscht. Die ganze Welt soll dafür büßen, dass er Lutetia verloren hat.« Runa stellte sich breitbeinig vor Taurin hin und fuhr mit harter, kalter Stimme zu sprechen fort. »Aber ob Frieden herrscht oder nicht, ob du uns tötest oder nicht - deine Heimat bleibt verloren.«
    »Ja«, sagte er erstickt. »Weil ihr sie mir genommen habt!«
    »Wer hat sie dir genommen?«, rief Runa. »Und wen von diesen Menschen siehst du hier? Ich bin eine Frau, die von ihrem Vater verschleppt wurde, die zusehen musste, wie dieser ihre Großmutter getötet hat, eine Frau, die nie wieder im dunklen Wasser des

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