Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
ging.
»Früher«, erzählte sie, »haben wir ohne Ochsen und Kühe gepflügt, später mithilfe der Tiere - der Pflug jedoch war derselbe. Er hatte die Form einer Harke, mit der man die Erde nicht umdrehen, sondern nur eine Vertiefung darin machen konnte.« Runa wusste, was das bedeutete. Die Oberfläche des Ackers war dadurch nur gering aufgelockert, die handgesäte Aussaat oft vom Wind davongeweht worden. »Die Nordmänner haben eine neue Art von Pflugschar ins Land gebracht«, fuhr Audinga fort. »Eine wuchtige und eisenbeschlagene, die sich tief im schweren Boden eingräbt.«
Was sich nicht verändert hatte, war, dass das Getreide mit Sicheln geschnitten wurde. Dies war in diesem Sommer bereits geschehen, doch noch war das Getreide nicht gedroschen und gemahlen worden, um es zu lagern. Im Dorf war ein Streit darüber ausgebrochen, ob man das Korn zum nächsten Müller bringen sollte oder ob die Gefahr von Überfällen und Raub auf dieser Strecke zu groß wäre. Durchgesetzt hatten sich jene, die Letzteres heraufbeschworen, und so wurde das Korn nun mit Mörsern zerstampft, bis es platzte und Mehl herausquoll, das sich nicht gänzlich von der Schale trennen ließ. Das Brot, das daraus gebacken wurde, war immer noch besser als das aus Asche und Birkenrinde.
Runa half gerne beim Mörsern und war zugleich froh, dass Audinga immerfort sprach. Das lenkte sie von der zwar nicht mühsamen, aber langweiligen Arbeit ab.
Wenn Audinga gerade nicht über die Ernte sprach oder beschwor, wie gut sie es mit ihrem neuen Mann getroffen hätte, rühmte sie Rollo, von dem Alfr ihr viel erzählt hatte.
»Er ist ein wahrer Herrscher und in vielem den Franken bereits sehr ähnlich«, begeisterte sie sich. »Während sich die freien Männer im Norden einander ebenbürtig fühlen und ihrem Anführer widersprechen dürfen, hat Rollo hierzulande beschlossen, dass nicht alle Männer gleich, sondern er der Größte ist, und dass jene, die ihm folgen, nicht länger seine Gefährten, sondern Diener sind.« Sie lächelte. »Wem das nicht gefällt, der wird prompt mit Land und Gütern beschwichtigt, die umso größer ausfallen, je bedeutender Status und Herkunft dieses Mannes sind.«
Der Status von Alfr kann nicht besonders hoch sein, wenn er nur diesen Hof bekommen hat, dachte Runa, aber sie sagte es nicht laut.
»Rollo«, so fuhr Audinga indes fort, »achtet nicht nur darauf, dass er respektiert wird, sondern dass alle Gesetze eingehalten werden. Die Strafen bei Zuwiderhandlung sind sehr streng. Man erzählt sich die Geschichte einer Frau, die ihren Pflug begrub, um ihn nicht mit den Nordmännern teilen zu müssen. Als man ihren Betrug aufdeckte, hatte sie mit dem Leben dafür zu bezahlen - und ihr Mann auch, weil sie seine Frau war, ganz gleich, ob er nun davon gewusst hatte oder nicht.«
Erstmals veränderte sich Audingas Tonlage. Ihre Stimme klang nicht gleichmütig, sondern voller Respekt. Offenbar fiel es ihr nicht schwer, einen neuen Mann an ihrer Seite zu akzeptieren, eine neue Sprache zu erlernen oder zu ertragen, dass Landsleute wegen geringer Vergehen hingerichtet wurden - solange der gewohnte Alltag seinen Lauf nahm und es jemanden gab, der die große Ordnung des Lebens wahrte.
Auch Runa hatte nichts gegen diese Ordnung einzuwenden. Sie genoss die Tage mit Audinga. Es war zwar ungewohnt, zu tun, was andere ihr auftrugen, aber Arvid gedieh nun, auch ohne dass sie ihm immer wieder befehlen musste zu leben.
Eines Tages kehrte Alfr zurück. Audinga nährte gerade das Kind an ihrer Brust, und Runa erschrak. Würde er darüber erbost sein, dass seine Frau sie aufgenommen hatte? Doch ihre Sorge war unbegründet. Alfr beachtete sie gar nicht. Seine Stiefkinder und das Kleine, das ihm Audinga geboren hatte, schienen ihm nicht minder fremd - er konnte sie nicht einmal auseinanderhalten.
Alfr befahl, einen Teil des Getreides zu verwenden, Met zu brauen, und als Audinga erklärte, sie wisse nicht, wie man das mache, erhob sich Runa.
»Aber ich weiß es!«, rief sie und machte sich gleich an die Arbeit.
Alfr vermied es auch in der folgenden Zeit, mit Runa zu reden, aber den Met, den Runa braute, trank er gerne. Lange auf dem Hof hielt es ihn dennoch nicht, und alsbald zog es ihn wieder fort - dieses Mal nicht an die Küste, sondern in den Wald. Er sagte, dass er Holz roden müsse, damit sie im Winter nicht froren, doch Runa glaubte, dass er in Wahrheit lieber mit seinesgleichen zusammen war als mit seiner fränkischen Frau. Ihr war
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