Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
in einen Kerker gesperrt worden war! Ihre Sinne mussten sie trügen.
Vielleicht sahen alle Frauen in diesem Land so aus, waren alle so dünn und klein. Schließlich mussten sie nicht stark sein wie sie. Mussten nicht ums Überleben kämpfen. Hatten nicht alles verloren, die Familie, die Heimat, zuletzt die Freiheit. Nun, zumindest die Freiheit hatte auch die andere verloren. Eben entrang sich ein gequälter Laut ihren Lippen.
Runa dachte angestrengt nach. Ja, die junge Frau war in der gleichen Lage wie sie, sie waren beide gefangen. Und ob schwach oder nicht, ob mutig oder ängstlich, gewiss wollte auch diese Fremde so schnell wie möglich dem Kerker entkommen, und dass sie in diesem Trachten geeint waren, könnte ihr vielleicht von Nutzen sein.
Die beiden Männer würden sterben - Taurin wusste es, und sie selbst wussten es wahrscheinlich auch. Furcht zeigten sie jedoch nicht, und als Taurin in ihre trotzigen Gesichter starrte, überkam ihn beinahe Mitleid. Nicht weil sie sterben würden. Sondern weil sie glaubten, dass der Heldentod ein würdiger sei. Jeder Tod aber, der mit Gewalt kam und bei dem Blut floss, war vor allem eines: schmutzig.
Noch war nicht die Zeit gekommen, sie zu töten, noch überließ Taurin sie einem Trupp brutaler Männer, damit diese alles, aber auch wirklich alles aus ihnen herausprügelten, was sie wussten.
Stolz und Trotz hielten der Folter nicht lange stand. Zuerst spuckte einer der beiden einen Zahn aus, dann die ganze Wahrheit: Ja, sie waren vom fränkischen König hergeschickt worden, obwohl Rollo keine fränkischen Soldaten duldete. Ja, sie sollten ein Auge auf die Prinzessin haben, weil der König seinem künftigen Schwiegersohn nicht traute. Und ja, sie hatten gewusst, dass sie es mit ihrem Leben bezahlen könnten.
Taurin hörte schweigend zu und gab dann einem Sklaven ein Zeichen, Rollo zu benachrichtigen. Der wollte - zu welcher Tages- und Nachtzeit auch immer - stets über alle Vorgänge Bescheid wissen. Die Mühe, in den Hof zu kommen, machte er sich wenig später allerdings nicht. Er ließ Taurin seine Entscheidung ausrichten: Die Männer sollten noch vor dem Morgen sterben, ohne dass er, Rollo, je ihre Gesichter gesehen und mit ihnen gesprochen hatte.
Als der Sklave diese Nachricht überbrachte, machten sich die anderen Männer daran, die beiden Franken erneut zu quälen, jetzt nicht mehr um der Wahrheit, sondern um des Vergnügens willen.
»Hört auf!«, befahl Taurin heiser. Er war der Sache hörbar überdrüssig.
Ächzend richteten sich die Franken auf, als er auf sie zutrat. In den geschundenen Gesichtern stand keine Todesangst, und obwohl es nutzlos war, so mutig zu sein - war der Tod für Mutige doch ebenso letztgültig wie für Feiglinge -, empfand Taurin Anerkennung für Faro und Fulrad, Verachtung dagegen für sich selbst.
Er hatte sich hochgearbeitet. Man sah ihm nicht an, dass auch er Franke war - und noch weniger, dass er eigentlich zu den Sklaven gehörte. Man sah in ihm vielmehr Popas Vertrauten, dessen Verschwiegenheit und Gehorsam auch Rollo schätzte, und der sein Schwert schneller und wendiger führen konnte als die meisten.
An diesem Tag würde er das Schwert nicht selbst heben - andere mussten diese Männer für ihn töten, aber zuvor wollte er noch etwas wissen.
»Wer war das Mädchen, das davongelaufen ist?«
Der Blick der Franken war verschleiert, aber sie bekannten die Wahrheit schnell und ohne Androhung weiterer Gewalt.
»Das war nicht irgendein Mädchen, sondern Prinzessin Gisla, die Tochter des Königs!«
Taurin erinnerte sich vage an das schäbige Kleid, welches das Mädchen getragen hatte und das der Kleidung einer fränkischen Prinzessin mitnichten glich. Allerdings war das kleine Ding so zart und blond gewesen, wie man ihm jene Gisla beschrieben hatte. Und er glaubte nicht, dass der Mann ihn belog - nicht nach den vielen Schlägen, die er hatte einstecken müssen, und nicht kurz vor dem sicheren Tod. Also sprach er die Wahrheit.
So, so, dachte Taurin. Die fränkische Prinzessin Gisla trägt das Kleid einer Dienstmagd und läuft mitten in der Nacht allein im Palatium des Bischofs herum.
Erst war er überrascht, dann amüsiert, schließlich befriedigt. Was immer der Grund für dieses närrische Benehmen war - es würde seine Aufgabe, das Mädchen aus der Welt zu schaffen, erleichtern.
Ein Krieger trat auf ihn zu, bewaffnet wie er. »Sollen sie wirklich sterben?«, fragte er.
Seine Worte verhießen Anteilnahme, sein Blick jedoch
Weitere Kostenlose Bücher