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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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sah, gefiel ihm offenbar - zwei Frauen nämlich, mit denen er leichtes Spiel haben würde.
    Gisla begann wieder zu schreien, als er einen Schritt auf sie zu machte.
    Licht fiel nun auf das Gesicht des Mannes. Runa sah, dass seine Haare dunkel waren wie ihre, seine Augen auch. Tiefe Furchen hatten sich in seine Wangen gegraben. Die Stirn war hoch, das Kinn trotzig gereckt. Seine Statur bewies, dass er genug zu essen bekam - und dennoch wirkte er ausgezehrt. Sein Blick ging von der schreienden Gisla zu ihr, schließlich zum Wächter. Der schnarchte nun, aber rührte sich immer noch nicht.
    Runa spürte, wie Gislas Hände sich in ihre Schultern krallten und sie ihr Gesicht in ihrem Rücken vergrub. Wie zart dieser Körper war, wie ungemein weich; das Herz schien nicht forsch zu schlagen, sondern lediglich zu zittern. Eine achtlose Berührung, dessen war Runa sich gewiss, würde genügen, um die seidige Haut zerreißen zu lassen.
    Dann fühlte Runa Gisla nicht länger, fühlte nur die Augen des Mannes auf sich ruhen, erst gleichgültig, nun auffordernd - ein Zeichen dafür, dass er es nicht auf sie abgesehen hatte, dass er ihr genügend Zeit gewährte, um an ihm vorbeizustürmen, und ihr somit die Flucht gestattete. Diese nicht zu wagen wäre dumm, und am dümmsten wäre, jener Gisla ein zweites Mal zu helfen, wo es ihr schon beim ersten Mal so viel Übles eingebracht hatte. Doch wieder handelte Runa ohne nachzudenken, tat nicht das, was am klügsten war, sondern das, was ihr als richtig erschien.
    Sie ließ den Mann näher kommen, sah zu, wie er Schritt vor Schritt setzte, wie er ganz dicht vor ihnen stehen blieb, fühlte, wie sein warmer Atem sie streifte. Dann packte sie Gisla, zog sie hinter ihrem Rücken hervor und stieß sie ihm entgegen. Die Frankenprinzessin stolperte, stumm vor Schreck, und als der Mann die Hände ausstreckte, um sie aufzufangen, beugte Runa sich blitzschnell vor und zog sein Schwert. Es war schwer, und der Kerker war fast zu klein, um die Klinge zu heben, aber groß genug, um dem Mann den Knauf erst in die Seite zu rammen und ihm dann, als er zusammenzuckte, einen weiteren Schlag auf seinen Nacken zu versetzen. Er knickte auf die Knie, Runa hob das Schwert, brachte es jedoch nicht über sich, es auf ihn herabsausen zu lassen - vielleicht, weil sie sein Leben verschonen wollte, vielleicht nur, weil sie ihn nicht gleichzeitig töten und Gisla aus seinen Armen zerren konnte. Sie ließ das Schwert fallen und griff nach der fränkischen Prinzessin, und indem klirrend die Waffe zu Boden ging, sank auch der Mann in sich zusammen. Er heulte auf vor Schmerz, aber stützte sich alsbald auf den Händen ab, um sich wieder aufzurichten.
    Ehe er stand, hatte Runa mit Gisla schon das Gefängnis verlassen. Ein letztes Mal drehte sie sich um und sah, wie der Mann die Faust wider sie erhob - ein Gegner zwar, aber ein würdiger, nicht schwächlich wie Gisla und betrunken wie der Wärter, sondern willensstark.
    Ehe er ihnen nachgestürmt kommen konnte, zog sie Gisla mit sich in den Gang, schlug die schwere Tür zu und schob den Riegel vor. Wütendes Hämmern und knackendes Holz ertönten, aber der Riegel hielt.
    Die fränkische Prinzessin rief etwas in einer ihr fremden Sprache, vielleicht die Frage, wohin sie nun sollten.
    Runa sagte nichts. Weg!, ging es ihr durch den Kopf. Einfach nur weg!
    Geduckt liefen sie den Gang entlang und gelangten in den Hof. Nur aus den Augenwinkeln nahm Runa Männer wahr, die an einem Feuer lagen - zu verschlafen oder zu betrunken allesamt, um sie aufzuhalten.
    Weg, nur weg!, echote es immer noch in ihrem Kopf.
    Erst als sie den Hof hinter sich ließen, kamen ihre Gedanken zur Ruhe. Es war verrückt, gemeinsam mit der fränkischen Prinzessin zu fliehen. Um vieles ratsamer hingegen war, sie zurückzulassen.
    Doch Runa brachte es nicht übers Herz, das zitternde Geschöpf an ihrer Seite von sich zu stoßen.

K LOSTER S AINT -A MBROSE IN DER N ORMANDIE H ERBST 936
    Die Nonnen starrten die Äbtissin entsetzt an. So wenig wie sie verstanden hatten, dass sie ihr Amt niederlegte, so wenig konnten sie fassen, was sie dazu trieb.
    Sie war unwürdig. Sie hütete ein Geheimnis.
    Als Zeichen, dass sie sich nicht zu mehr als vagen Andeutungen hinreißen lassen würde, erhob sie sich und gab sich den Anschein, das Refektorium zu verlassen. Erneut brach Aufruhr los.
    Geschrei war im Kloster eigentlich verboten, Lachen ein Teufelswerk, und das Bekunden heftiger Gefühle wurde rechtzeitig beschnitten

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