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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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oder hart bestraft. Nun brach alles gleichzeitig aus den Nonnen hervor, und es gab niemanden, der sie mäßigte: Es wurde nicht nur geschrien, sondern dies wild durcheinander, das Lachen war nicht einfach nur unbeherrscht, sondern hysterisch, und die Gefühle, die sich auf ihren Gesichtern zeigten, waren stark und mannigfaltig: Da war Verwirrung, Fassungslosigkeit, Erschütterung, echte Angst, Trauer, Wut.
    Die Äbtissin blieb als Einzige stumm. Eine Weile ließ sie die Nonnen gewähren, dann erst hob sie die Hand - ein Zeichen, das nicht selten mehr bewirkt hatte als jedes strenge Wort. Auch diesmal verfehlte es seine Wirkung nicht, doch die Ruhe, die einkehrte, hatte nichts mit der heiligen Stille des Klosters gemein, in dem alles, was getan wurde, einem Zweck diente: Gott zu verherrlichen. Anspannung lag darin, Gereiztheit.
    »Ich bitte euch, mich zu verstehen«, erklärte die Äbtissin. »Und nicht an meinem Entschluss zu zweifeln.«
    Wieder entlud sich die Fassungslosigkeit in Gerede, doch diesmal klang es nicht ganz so durcheinander. Die Subpriorin wurde durch Blicke und Gesten dazu erkoren, für sie alle zu sprechen - und ihre Stimme stach klar hervor: »Ihr sagtet, dass Ihr des Amtes nicht mehr würdig seid, ehrwürdige Mutter. Aber für Sünden, ganz gleich wie schlimm sie sein mögen, kann man Buße tun.«
    Wenn du wüsstest, dachte die Äbtissin. Wenn du nur wüsstest ... Mein Leben lang habe ich nichts anderes als Buße getan ...
    Ja, jeden Tag musste sie sich ihren Seelenfrieden neu verdienen, durch Stille und Gebet, durch Selbstbeherrschung und klare Ordnung. Ihr Leben war ein schmaler Weg inmitten von Unrat - Unrat, den ihr nicht andere vor die Füße warfen, sondern der aus ihrer eigenen Seele quoll. Wenn sie nicht bedächtig Schritt vor Schritt setzte, fiel sie hinein.
    Doch nun war Arvid hier, und Arvid hatte alles verändert, wenn auch noch nicht offensichtlich wurde, auf welche Weise: Vielleicht wurde dank seiner der schmale Weg, auf dem sie balancierte, breiter. Vielleicht versank er nun erst recht im Schlamm.
    »Ihr sagtet, dass Ihr dem Bischof mitteilen wollt, dass Ihr das Amt zurückgebt«, rief nun die Schwester Cellerarin. »Wäre es nicht besser, erst mit ihm zu reden, ob es überhaupt notwendig ist? Oder mit dem Abt des Nachbarklosters?«
    Selbst sie, die Rotwangige, Feiste, stets Ruhige und Gefasste, war bestürzt. Die schlimmste Sünde, die sie wohl je begangen hatte, war das Naschen von Honig. Vielleicht überlegte sie gerade, ob die Äbtissin Ähnliches verbrochen hatte, denn sie musterte ihre hagere Gestalt argwöhnisch, als ob sich Spuren von Völlerei daran wahrnehmen ließen.
    Die anderen folgten ihrem Beispiel, starrten sie prüfend oder verwirrt an, manche sogar besorgt. Die Äbtissin ließ sich nicht hinreißen zu glauben, dass es Liebe und Vertrauen waren, die sie zu dieser Sorge bewogen. Sie wurde respektiert, nicht gemocht. Das Pflänzchen Liebe kann nur zögerlich an einem Ort wachsen, wo das Gesetz gilt, dass man niemanden bevorzugen darf, sondern alle gleich zu behandeln sind. Doch so wenig man liebte, so sehr hasste man Veränderung - und die, die sie ihnen aufbürdete, war eine zu große.
    »Warum nur, ehrwürdige Mutter, warum?«
    Nicht nur die Schwester Cellerarin schien darüber nachzusinnen, welche Sünde die Äbtissin wohl verbrochen hatte - auch die anderen Nonnen begannen zu mutmaßen und listeten mögliche Verfehlungen auf, die ihr als lächerlich nichtig erschienen: Unentschuldigt den Horae canonicae fernzubleiben gehörte dazu, außerhalb des Dormitoriums einzuschlafen, sich im selbigen unehrenhaft zu betragen, doppelzüngig zu reden oder einfach zu viel zu reden, eine Schwester zu beleidigen oder sie zu verleumden.
    Nicht nur diese Sünden wurden aufgezählt, auch wie man dafür Buße tun könnte. Wenn Ermahnungen nichts nutzten, wurden Speise und Trank entzogen und musste die Büßende beim Chorgebet abgesondert sitzen. Wenn Beschämung nicht fruchtete, setzte es Schläge. Und wenn sich die Schwestern dann immer noch störrisch gaben, musste der Bischof gerufen werden.
    Doch das war in ihrem Kloster und zu ihren Lebzeiten noch nie geschehen.
    Während die Schwestern mögliche Verfehlungen diskutierten, war die Subpriorin eines anderen Arguments fündig geworden, um die Äbtissin von ihrem Rücktritt abzuhalten.
    »Ich fühle mich nicht in der Lage, Euer Amt einzunehmen«, sagte sie.
    Sie sprach mit gesenktem Kopf, und die Äbtissin war sich nicht sicher, ob

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