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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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im Kloster. Obwohl sie fror, war sie nicht müde wie sonst. Niemand hatte sie in der Dunkelheit aus dem Schlaf gerissen und entweder zum Gebet getrieben oder ihr eine der vielen Pflichten am Königshof aufgebürdet. Nein, man hatte sie schlafen lassen, so lange sie wollte, denn ob sie betete, interessierte hier niemanden. Und die einzige Pflicht, die sie erfüllen musste, war, die Königstochter Gisla zu sein. Das fühlte sich gut an.
    Aegidia blieb liegen, strich über den weichen Pelz, auf dem sie gebettet lag, roch den verführerischen Duft von frischem Gerstenbrei, krossem Brot und geschmolzener Butter, die eben von einem Mädchen gebracht worden waren. Was zählte es, nicht mehr sie selbst zu sein, wenn sie so viele Annehmlichkeiten genießen durfte, was zählte ihre Furcht vor Rollo und den Nordmännern, solange sie im Haus des Bischofs lebte, was zählte ...
    »Gisla!«, rief sie plötzlich entsetzt, um sich sogleich auf die Lippen zu beißen: »Ich meine ... Aegidia! Meine Zofe! Wo ist sie?«
    Das Mädchen, das die Speisen gebracht hatte, blieb bei der Tür stehen und starrte sie verständnislos an.
    Aegidia richtete sich auf. »Verstehst du mich? Sprichst du meine Sprache? Wo ist Aegidia?«
    Jetzt trat das Mädchen an das Bett. »Sie ist ... verschwunden«, berichtete es schließlich mit sichtbarer Freude an diesem Skandal.
    Aegidia zuckte zusammen. Das Entsetzen über die Nachricht war größer als die Erleichterung, dass das Mädchen ihre Sprache beherrschte.
    »Ist in die Küche gebracht worden, um dort zu schlafen ...«, nuschelte die Kleine. »Hat sich offenbar mit einem der Knechte angelegt ... ist in den Kerker geworfen worden. Von dort ist sie geflohen ...«
    Das weiche Bett erschien Aegidia plötzlich ganz hart. Angst schlug einen kalten Knoten in ihren Leib - nicht die Angst vor Rollo wie am Tag zuvor, sondern vor Fredegard, die ihr doch eingeschärft hatte, was zu tun war: Gisla sollte einige wenige Tage in ihrer Gesellschaft bleiben, ehe Aegidia den Wunsch äußern würde, dass man sie zurück ins Frankenreich bringen möge. Sie wäre dem Leben in der Fremde nicht gewachsen, so sollte sie sagen, und darum keine nützliche Vertraute, sondern nur eine Last.
    »Wohin ... wohin ist sie geflohen?«, fragte Aegidia aufgeregt.
    Das Mädchen zuckte mit den Schultern. »Hat Rouen verlassen ...«, erklärte es knapp und klang so düster, als gäbe es jenseits der Mauern keine Welt, als wäre eine, die sich dennoch dorthin verirrte, so gut wie tot.
    Genau das befürchtete auch Aegidia. Und selbst wenn Gisla in diesem Augenblick noch lebte - unmöglich würde sie auf sich gestellt den Weg nach Laon finden! Unmöglich aber auch, dass Fredegard über Wochen vergebens warten würde, bis sie die Tochter wiederhatte! Nein, wenn sie nichts aus Rouen hörte, würde sie die Geduld verlieren, in Panik geraten, nach Gisla suchen und zuletzt, wenn ihr keine andere Wahl blieb, den Betrug zugeben.
    Ob Gisla all das retten würde, war nicht gewiss. In jedem Fall würde sie, Aegidia, nicht länger auf einem weichen Fell schlafen und mit knusprigem Brot verwöhnt werden. Sie würde wieder am Hof des Königs in Laon leben, als Waise, ohne Aussicht auf eine Heirat, dazu da, der Konkubine des Königs zu dienen. Gewiss, es war keine harte und keine schmutzige Arbeit, für sie zu nähen und ihr das Haar zu bürsten - aber dienen war es. Hier wurde sie bedient. Von jenem Mädchen, das nun nicht länger von der entflohenen Zofe berichtete, sondern eben fragte, ob sie sich ankleiden wolle.
    Aegidia setzte sich auf. Ja, sie wollte angekleidet werden, sie wollte edlen Stoff und Schmuck tragen, sie wollte nicht dienen, nie wieder.
    »Ich ... ich muss mit dem Bischof sprechen«, erklärte sie leise. Ich muss verhindern, dass Fredegard die Wahrheit erfährt, setzte sie im Stillen hinzu. »Ich möchte ihn darum bitten, dass ich meiner Mutter einen Brief senden kann - um ihr zu versichern, dass es mir wohl ergeht.«
    Sie würde den Brief selbst schreiben. Und sie würde ihn versiegeln, ehe ihn jemand lesen konnte.
    Der Morgenhimmel schimmerte nicht länger rötlich, sondern grau; die Sonne hatte zwar das Himmelszelt erreicht, bei ihrem Aufstieg aber alle Kraft verloren. Die Welt verblasste, und diese Welt war sehr groß.
    Als die Stadttore geöffnet worden waren - Gisla wusste nicht, wie die andere Frau überhaupt dorthin gefunden hatte -, gehörten sie zu den Ersten, die sie an diesem Morgen durchschritten. Ob es richtig war oder falsch,

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