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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Ordensbrüder. Diese blickten irritiert, aber keiner blieb stehen, und als die beiden Frauen sich nach einer Weile umdrehten, starrten die Krieger ihnen zwar immer noch nach, aber folgten ihnen nicht.
    Die Mönche gingen nun ihres Weges, und sie standen endlich vor dem Stadttor, keinen Augenblick zu früh, denn eben wurde es geschlossen.
    »Wartet!«, schrie Gisla.
    Der Torhüter musterte sie misstrauisch; zu ungewöhnlich war es, dass jemand zu dieser Tageszeit noch hinauswollte. Aber Runa erwiderte seinen Blick so finster, dass er schließlich widerwillig nickte. Wahrscheinlich, so dachte er wohl, war es besser, solches Gesindel nicht bei Dunkelheit in der Stadt zu wissen.
    Gisla schritt aufrecht durch das Tor - dahinter aber wurde sie von Angst und Grauen überwältigt. Die vielen bewaffneten Männer, denen sie gerade noch entkommen waren, kamen ihr in den Sinn, der grausige Anblick des toten Wärters, der Geruch von gebratenem Schwein - und plötzlich wusste sie, dass sie ihr Leben lang nie wieder Schweinefleisch essen könnte, ohne an den Mann mit der aufgeschlitzten Kehle zu denken.
    Sie würgte - und lief los, lief den Hügel hinunter, lief immer weiter von der Stadt weg. Sie kamen wieder am Kloster, das Sadalberga gegründet hatte, vorbei, an Feldern, Wiesen und Weinbergen, verließen die Straße und erreichten den Wald. Mittlerweile war es gänzlich dunkel geworden, die Bäume glichen einer schwarzen Wand.
    Gisla schmerzte die Brust, als sie stehen blieb, und sie begann, herzerweichend zu schluchzen.
    »Wohin?«, rief sie. »Wohin nur sollen wir jetzt gehen?«
    Sie konnte nicht mehr zurück nach Laon, und sie konnte nicht nach Rouen. Sie konnte ihrem Vater nicht nach Lothringen folgen, weil sie weder wusste, wo dieses Land lag, noch wo genau in diesem Land er sich aufhielt, und sie würde auch den Weg zum Kloster ihrer Mutter nach Chelles nicht finden. Bis jetzt war sie auf der Flucht gewesen - nun war sie eine Heimatlose. Die Kehle schmerzte vom Weinen alsbald noch mehr als vom schnellen Laufen, und um nicht noch mehr Tränen zu vergießen, begann Gisla, über Hagano zu fluchen. Ihr fielen nicht viele Schimpfwörter ein, aber sie beschwor wortgewaltig Gottes Strafe, die ihn ob seines schändlichen Verhaltens gewiss treffen würde. Vage erinnerte sie sich an eine Geschichte, die sie als Kind gehört hatte, die vom gemeinen Mord an Bischof Fulco Kunde gab, und auch davon, wie der Übeltäter von Gott bestraft würde: Ein stetes Feuer brannte ab nun in ihm, Tumore wuchsen an seinen Füßen, niemals zu löschender Durst quälte ihn.
    All dies wünschte Gisla nun lauthals auch Hagano, doch mit der Stimmkraft schwand die Gewissheit, dass Gott diesen ähnlich bestrafen würde: Er hatte ihr zwar nach dem Leben getrachtet, aber sie selbst war nur die Tochter eines Königs und obendrein eine ungehorsame - sie hatte sich dem Willen ihres Vaters widersetzt. Vielleicht war also vielmehr sie es, die von Gott bestraft wurde, und Hagano wurde nicht vom Teufel geritten, sondern vom Allmächtigen als Werkzeug benutzt.
    Ob es nun gerechte Strafe oder grausames Schicksal war und ob Hagano in Gottes Sinne handelte oder nicht: Gisla wusste nicht, wie es weitergehen sollte.
    Sie hatte Runa - sonst niemanden mehr.

K LOSTER S AINT -A MBROSE IN DER N ORMANDIE H ERBST 936
    Die Reiter kamen näher. Arvid lauschte reglos, und die Äbtissin befürchtete kurz, dass er aus purem Trotz nicht fliehen würde, dass er lieber seinen Feinden ins Gesicht sah, als ihr zurück ins Kloster zu folgen. Sie zweifelte keinen Augenblick daran, dass es Feinde waren, die sich dem Kloster näherten - und war umso erleichterter, dass Arvid sich schließlich aus seiner Starre löste und ihr zur Pforte nachhastete.
    Sie erreichten sie keinen Augenblick zu früh. Die Äbtissin schloss das Tor und schob den Riegel davor. Das Quietschen war kaum verklungen, als das Pferdegetrappel anschwoll, erst von Rufen begleitet, dann von Schritten, schließlich von Schlägen auf das Holz. Obwohl das Tor stabil war, wich die Äbtissin instinktiv zurück. Dem Lärm nach standen da draußen mindestens ein halbes Dutzend Männer, und diese forderten mit zunehmend wütender Stimme Einlass.
    »Mein Gott!«, stieß Arvid aus.
    Zum ersten Mal, seit er die Wahrheit wusste, stand keine Verachtung in seinen Zügen, nur blankes Entsetzen.
    Mit ihrem Kinn wies die Äbtissin schließlich auf das Refektorium - ein Zeichen, dass sie sich um die Nonnen kümmern müsse, während er hier

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