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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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erlangen vorsah, dass der Beschuldigte ein rotglühendes Eisen aus einem Feuer nahm. Wenn sich nach wenigen Tagen seine Verbrennungen nicht entzündet hatten, war er unschuldig - eiterte und blutete die Wunde hingegen, war er der Straftat überführt. Er war damals noch ein Kind gewesen, und jenes grausame Verfahren war ihm gerecht erschienen. Nun sah er das glühende Eisen und dachte nur: Wie kann es einer anfassen, schuldig oder nicht, ohne sich zu verbrennen? Und wer erträgt es, diesen Unglücklichen vor Schmerzen schreien zu hören, und hat kein Mitleid mit ihm?
    »Wie lange willst du noch zögern?«, höhnte Thure. »Bist du ein Schwächling? Oder ein Feigling? Oder beides?«
    Taurin konnte seinem Blick nicht länger ausweichen und hob den Kopf. Die narbige Kreatur erstickte sein Mitleid im Keim - und säte zugleich Respekt, weil der Mann keine Furcht zeigte, desgleichen Neid auf diese Willensstärke und Härte. Taurin ballte seine Hand zur Faust, sprang auf Thure zu und schlug ihm ins Gesicht, noch ehe er recht begriff, was er überhaupt tat. Thure wich dem Angreifer nicht aus, Taurin selbst war es vielmehr, der voller Ekel, die vernarbte Haut berührt zu haben, zurückzuckte.
    »Das soll alles sein?«, höhnte Thure.
    Taurin wandte sich ab. Noch größer als der Ekel vor dem Scheusal war der vor sich selbst.
    »Nicht gekränkt sein«, rief Thure da plötzlich schmeichelnd, »ich mag dich doch. Ich beobachte dich nun schon eine ganze Weile, und ich beobachte dich gern. Im Grunde sind sie allesamt langweilig - die Menschen, die immer wissen, was sie wollen, und wollen, was sie tun. Weit lieber sind mir solche wie du. Menschen, die nicht wissen, was sie tun, und nicht mögen, was sie wissen.«
    »Halt's Maul!«, rief Taurin.
    Die Wut, der Widerwille, die Verachtung brannten immer heißer in ihm. Er machte sich die Gefühle zunutze, griff nach der glühenden Streitaxt und hielt die Klinge nah an Thures Gesicht. Es befriedigte ihn, dass Thure nicht sämtliche seiner Instinkte beherrschte und nun doch zusammenzuckte. Die Männer - am Quälen noch mehr interessiert als an fremden Waffen - hielten ihn fest. Noch einmal führte Taurin die glühende Klinge an die narbige Haut heran und versengte die spärlichen Barthaare.
    »Ich lasse dir die Wahl«, brüllte er. »Erzähl mir alles über die Frauen. Dann verschone ich dich.«
    Ein Zischen ertönte, als die Barthaare unter der Glut verbrannten. Noch aber verschonte Taurin die Haut und zog die Streitaxt alsbald wieder zurück.
    Thure leckte sich über die trockenen Lippen. »Du willst also, dass ich rede?«, rief er mit freudiger Stimme. »Oh, ich rede doch gerne, vor allem mit dir! Was macht es für einen Unterschied, dass ich nicht dein Freund bin, sondern dein Gefangener? Loki war auch ein Gefangener, wusstest du das?«
    »Was weißt du über die Frauen?«
    Thure grinste nicht nur, er lachte. »Ja, Loki war in einer unterirdischen Höhle gefangen«, rief er, »und diese Höhle war schmutzig. Ganz anders als der Palast, in dem Baldur lebte. Breidablik hieß der, und dort gab es nichts, was schmutzig war. Dort war alles sauber. Und Baldur war der schönste aller Götter, tapfer und von allen geliebt.«
    »Die Frauen!«, schrie Taurin.
    Die glühende Streitaxt zitterte in seiner Hand, berührte darum zwar nicht Thures Gesicht, aber seine Brust. Ein Zischen erklang, als der seidige Stoff von Thures Kleidung zerschmolz, jedoch kein Schmerzenslaut erklang.
    »Warum so eilig?«, fragte Thure ohne Furcht, ja, fast vergnügt. »Die beiden Frauen sind über den Fluss entkommen und folglich nun im Frankenreich. Von dort kannst du sie nicht zurückholen, du kannst bestenfalls darauf warten, dass sie auch von da drüben verjagt werden und wiederkehren - vorausgesetzt, dass sie nicht ersoffen sind. So oder so haben wir Zeit, viel Zeit. Lass uns die Zeit nutzen, ein bisschen zu plaudern. Darüber, dass die Welt nicht sauber ist und die Helden nicht unsterblich sind, auch wenn Baldur, Odins Lieblingssohn, es zu sein schien.« Er wurde ernster. »Eines Tages bekam seine Mutter, die streitsüchtige Frigg, plötzlich Albträume, die seinen nahen Tod verkündeten. Und was tat Frigg? Sie rief alle Wesen dieser Welt zu sich, auf dass sie ihr schworen, dem schönen, tapferen Baldur niemals etwas zuleide zu tun. Nur leider vergaß sie, auch den Mistelzweig dies schwören zu lassen. Mickrig schien der, hässlich und unbedeutend. Doch das hätte ich Frigg geraten, und ich rate es nun auch

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