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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Tan
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am Hafen im Westen befindet, dann erregt ihr doch erst recht Aufsehen. Ich möchte, dass ihr mitten durch das Festgedränge geht. Keiner wird euch Beachtung schenken. Haltet einfach die Köpfe gesenkt, und sprecht mit niemandem. Sobald ihr den Pferdewagen erreicht habt, seid ihr in Sicherheit. Godeke wird euch dann unbemerkt nach Eppendorf bringen. Niemand wird euch folgen, vertraut mir.«
    Die Frauen nickten furchtsam. Sie vermochten nicht zu sagen, ob Walthers Entscheidung, die Stadt über den Festplatz zu verlassen, tatsächlich klüger war, doch sie alle waren froh, dass er sie ihnen abnahm.
    Walther wandte sich ein letztes Mal Runa zu. Eigentlich hatte er bis eben noch geglaubt, er würde auch heute kein vertrauliches Wort mit ihr wechseln, zumal sie einander mittlerweile so sehr mieden, als wäre der andere an Aussatz erkrankt. Doch jetzt, wo Runa auf diese anziehend verletzliche Weise vor ihm stand, blass, ängstlich und voller Sorge, konnte er nicht anders, als seinen inneren Schwur zu brechen.
    »Kommt, wir gehen zu Oda und Ava und sagen ihnen Lebewohl«, drängte Ragnhild, die als Einzige um das furchtbare Geheimnis ihrer Tochter und deren Gemahls wusste, ihre restliche Familie in die Küche. Sie benutzte diese Worte nur als Vorwand, damit Walther und Runa für kurze Zeit ungestört waren. Kurz darauf war sie mit Marga und den Kindern aus der Diele verschwunden, scheinbar um sich von den beiden Frauen, die die Reise wegen Avas zwei kleinen Kindern nicht wagten, zu verabschieden. Bevor Ragnhild die Tür hinter sich schloss, warf sie noch einen letzten Blick auf ihre Tochter, die mit hängendem Kopf vor ihrem Gemahl stand.
    Walther wunderte sich über sich selbst. Er hätte nicht mehr sagen können, wie viele Male Runa ihn schon verletzt hatte und wie häufig er den Herrgott im Himmel schon um ihre Liebe oder ihren Tod angefleht hatte, doch all das zählte in diesem Augenblick nicht mehr. Er trat dicht an sie heran, nahm ihr Kinn sanft zwischen seine groben Finger und hob ihren Kopf, sodass sie ihn anblicken musste. Das tat er immer, wenn sie versuchte ihm auszuweichen, und sie gab stets nach. »Wirst du den Weg schaffen?«
    Sie nickte und schaute ihm direkt in die Augen. Seine blonden Haarsträhnen fielen ihm in die Stirn. Trotz ihrer ewig andauernden Streitigkeiten und seinem nicht enden wollenden Tadel wegen Johann Schinkel lag in seinem Blick etwas, das ihre Knie weich werden ließ. Der Duft seines Körpers stieg ihr in die Nase, seine tiefe Stimme klang angenehm vertraut in ihren Ohren.
    »Fürchte dich nicht. Ich werde dafür sorgen, dass du in Sicherheit gebracht wirst. Nur den Weg bis zum Millerntor musst du alleine schaffen.«
    Sie nickte, und als sie etwas erwidern wollte, verschloss Walther ihr mit seinem Finger den Mund.
    »Sage nichts, Frau. Es ist bereits zu viel gesagt worden zwischen uns. Geh jetzt besser.« Ein letztes Mal umfasste er ihren Nacken und zog sie an sich heran, um ihr einen Kuss auf die Stirn zu geben.
    Runa schluckte schwer. Seine Liebe zu ihr war fast mit den Händen greifbar. Es schmerzte sie zu sehen, wie schlecht es um sie beide stand. Wie konnte dieser Mann sie nach all den Jahren noch immer so sehr lieben, zumal er wusste, dass ihr Herz Johann Schinkel gehörte? Einem inneren Drang folgend, der genauso schnell wieder verging, wie er gekommen war, stellte sie sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. Sie fühlte, wie sich seine starken Arme um sie legten, nur um ihren Körper gleich darauf wieder freizugeben.
    Sanft flüsterte er in diesem kurzen Moment der Nähe: »Auch wenn du mich nicht lieben kannst, ich werde es immer tun – vergiss das nicht.«
    Im nächsten Moment schritt er an ihr vorbei zu seinen Kindern, die gerade aus der Küche kamen, um ihnen ebenfalls einen Kuss zu geben. Runa blieb stehen, wo sie war. Walthers Worte hatten etwas seltsam Endgültiges gehabt, und ihr wurde angst und bange. Doch es blieb keine Zeit mehr, darüber nachzudenken. Es war so weit.
    Godeke war neben Walther getreten und hatte ihm die Hand auf die Schulter gelegt. Die Männer nickten einander zu, und nur kurze Zeit später verließen sie das Haus. Auch sie waren unauffällig gekleidet, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Achtsam eilten sie genau den Weg entlang zum Millerntor, den auch die Frauen wenig später nehmen sollten. Hoffentlich würden sie tatsächlich den geliehenen Pferdewagen vorfinden, den der Bauer dort abstellen wollte!
    Die Männer kamen weniger schnell voran, als

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