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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Tan
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ihr zu erklären, aber er konnte es nicht. Durfte es nicht.
    Doch Agnes sah ihn so fragend an, dass er sich vergaß. Er ging auf sie zu, nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste ihre Lippen mit der Leidenschaft eines Mannes, dessen Liebe wohl für immer unerwidert bleiben würde. Nur einen Lidschlag später und noch bevor die völlig verblüffte Magd auf den Kuss reagieren konnte, richtete Johannes sich wieder auf und sprach: »Verzeih mir, Agnes, aber ich konnte nicht anders. Ich liebe dich.« Dann stürmte er davon.
    Als die Glocken läuteten, steckten die Frauen mitten im Gedränge. Alle um sie herum jubelten und schrien vor Freude. Hände wurden in den Himmel gereckt, bunte Bänder und Hüte geschwenkt. Jeder, ob Seemann oder nicht, schien zu wissen, was dieser hölzerne Kran für die Stadt bedeutete, und jeder wollte einen Blick auf dieses Wunderwerk an der Kaimauer werfen. Neben den Bürgern der Stadt waren auch zahlreiche Männer und Frauen aus dem Umland gekommen. Die Straßen drohten schier zu bersten ob der Menschenmenge.
    Runa umklammerte die Hand von Freyja und hielt den Blick fest auf Thymmos Rücken gerichtet, der vor ihr an Ragnhilds Hand lief.
    Sie hatten die Reichenstraße und den Ness bereits hinter sich gelassen und näherten sich nun der Trostbrücke. Hier würde das Gedränge aufgrund der Nähe zum Kran am größten sein, doch wenn sie die Brücke erst passiert hatten, war der Weg bis zum Pferdewagen nicht mehr weit. Obwohl der Kran nun links von ihnen lag und viele Hamburger dorthin abbogen, wurde es auch auf dem Vorplatz des Rathauses immer voller. Die Bewohner des Kirchspiels St. Nikolai mussten den Weg über die Trostbrücke nehmen, wenn sie den Kran bestaunen wollten. Nach der Brücke prallten die Menschen von Ost- und Westhamburg genau hier aufeinander, wo es sich bereits gehörig staute.
    Runa traute sich nicht, den Blick zu heben. Ab und an musste sie es aber doch tun, um den rechten Weg zu finden oder ihre Lieben nicht aus den Augen zu verlieren. Es war ohnehin schon ein heißer Tag, doch die vielen Menschen um sie herum nahmen ihr zusätzlich den Atem. So schnell sie nur konnte, setzte sie einen Fuß vor den anderen, bedacht darauf, bloß nicht hinzufallen – sie wusste, dass es ihr unmöglich sein würde, wieder aufzustehen. Ihre Beine fühlten sich an wie in Blei gegossen, und ihr Bauch wog schwer an diesem Tage.
    Margareta bemerkte Runas Schwäche als Erste und eilte schnell zu ihr. Das Gedränge machte es ihr unmöglich, die Schwangere zu stützen, aber sie konnte ihr Freyja abnehmen. Sichtlich erleichtert nahm Runa das Angebot ihrer Halbschwester an. Nun hatte sie beide Hände frei, um ihren Bauch zu schützen.
    Bitte halte durch, Runa, flehte Margareta innerlich und rief alle Heiligen an, die ihr auf die Schnelle einfielen, um der Schwangeren beizustehen.
    Ohne Freyja an der Hand ging es tatsächlich etwas besser. Nun konnte Runa beide Arme unter ihren Bauch legen und mit den Ellbogen das Gedränge auseinanderschieben. Je schneller sie vorankamen, desto schneller war diese Tortur vorbei. Unaufhörlich versuchte sie, sich Mut zu machen: Sie würde es schaffen. Sie würde durchhalten. Sie würde den Pferdewagen erreichen!
    Marga bildete das Ende der Gruppe. Immer wieder zählte sie die Köpfe vor sich, um sich zu vergewissern, dass auch wirklich niemand fehlte. Auch sie schwitzte in der Menge, was einerseits der Hitze, hauptsächlich aber ihrer dreifachen Kleidung zuzuschreiben war. Unter ihren Magdgewändern trug sie nämlich noch ein drittes Kleid. Es gehörte Runa; sie würde es brauchen, wenn sie ihr Kind geboren hatte und der Bauch wieder zurückgegangen war.
    Als die Frauen ungefähr auf der Höhe des neuen Rathauses waren, bemerkte Marga plötzlich etwas Seltsames. Eine schmale Gestalt erregte ihre Aufmerksamkeit. Zwar war sie noch weit von der kleinen Gruppe entfernt, aber Marga hatte gute Augen und erkannte sie sofort – es war Johanna! Wie vom Teufel persönlich gehetzt rannte die Magd quer durch die Menschenmenge über den Rathausplatz auf die Trostbrücke zu. Was hatte das zu bedeuten? Sollte sie nicht eigentlich die Laken am Reichenstraßenfleet waschen? Was hatte sie hier zu suchen, und vor allem, was trieb sie zu einer solchen Eile an? Beunruhigt ging Marga weiter. Von hinten kamen immer mehr Schaulustige, und vor ihnen lag die übervolle Trostbrücke. Das Gedränge wurde immer schlimmer.
    Auch wenn die Frauen sich vorher darauf geeinigt hatten, die Köpfe stets

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