Tochter des Ratsherrn
von dem rechts und links schwere, eisenbeschlagene Türen abgingen. Es stank erbärmlich nach Fäulnis und Pisse, und das Stöhnen Verletzter und Sterbender drang unangenehm an Johanns Ohr. Er schauderte. Im fahlen Licht der einzigen Fackel, die der Wächter vor sich hertrug, wirkte dieser Ort wie der Eingang zur Hölle. Noch konnte sich Johann gar nicht vorstellen, dass Runa hinter einer dieser Türen sitzen sollte – nicht seine geliebte Runa mit ihrer weichen Haut und dem hellen Haar. Ihr engelsgleiches Antlitz wollte so gar nicht hierherpassen.
Doch tatsächlich blieb der Wächter vor einer der Türen stehen und fingerte zittrig an seinem Schlüssel herum. Erst nach einer ganzen Weile hatte er den richtigen gefunden. Endlich öffnete sich die Tür. Der Wächter war gerade im Begriff einzutreten, als Johann ihn aufhielt. »Gib mir deinen Schlüssel und die Fackel.«
»Wie meint Ihr das?«, stammelte der Wächter verwirrt.
»Hast du etwa nicht gehört, was ich sage?«, fragte Johann nun absichtlich unfreundlich. Der Mann tat ihm leid, da er sich eigentlich untadelig benommen hatte, doch dies war die einzige Möglichkeit, für kurze Zeit mit Runa allein zu sein. »Was erlaubst du dir, Bursche? Zunächst belehrst du mich frech, und dann verweigerst du mir deinen Gehorsam. Wenn du mir nicht augenblicklich gibst, wonach ich verlange, dann werde ich mich beim Bürgermeister über dich beschweren.«
Der Wächter wurde blass. Zwar hatte er eindeutige Weisung, niemanden alleine zu den Gefangenen zu lassen, und er durfte auch niemandem seinen Schlüssel aushändigen, doch galt dies auch für den geistlichen Ratsnotar der Stadt? Er war sich nicht sicher, gleichwohl er jetzt eine Entscheidung treffen musste. Zögerlich reichte er Johann Schinkel seinen schweren Schlüsselbund.
Dieser riss ihm ihn förmlich aus der Hand und befahl: »Die Fackel!«
Der Wächter, der offenbar jeden Widerstand aufgegeben hatte, reichte ihm das Gewünschte.
»Na schön, da du anscheinend zur Vernunft gekommen bist, werde ich über dein Verhalten noch einmal hinwegsehen. Und nun mach, dass du nach oben auf deinen Posten kommst! Wenn ich hier fertig bin, bekommst du den Schlüssel zurück.«
Der Wächter verbeugte sich ein drittes Mal und hastete die steinerne Treppe hinauf.
Johann atmete erleichtert auf. Es kam überaus selten vor, dass er seine Stellung so dermaßen rücksichtslos ausnutzte. Zum Glück hatte sich der tumbe Wächter so leicht einschüchtern lassen! Nun musste er sich beeilen. Viel Zeit blieb ihm sicher nicht bis zum nächsten Wachwechsel. Beherzt trat er durch die Tür des Verlieses und drückte sie hinter sich zu. Dann schloss er ab und wandte sich langsam um. Die Fackel wie ein Schwert von sich gestreckt erleuchtete er das finstere Geviert von einer Ecke zur anderen. Hier, im gelblichen Schein der Flammen, sah er sie endlich sitzen.
Runa hatte die Hände auf ihre Ohren gelegt und die Beine angewinkelt. Die Augen geschlossen summte sie leise eine Melodie vor sich hin. Es war ein schrecklicher Anblick, der Johann direkt ins Herz fuhr.
»Runa«, sprach er sie an und steckte die Fackel in einen eisernen Ring in der Wand. Sie reagierte nicht. »Runa, öffne die Augen. Ich bin hier.«
Da erst sah die Schwangere auf und verstummte. Die Hände noch immer auf den Ohren, stierte sie Johann an.
Dieser bekam es mit der Angst zu tun. »So sprich doch mit mir! Hat man dir ein Leid angetan?«
Noch immer sagte sie nichts.
Langsam ging er auf sie zu. Er konnte deutlich sehen, wie verstört sie war, darum entschied er, sie nicht mit weiteren Fragen zu verwirren. Vorsichtig und ohne sie zu berühren, ging er neben ihr in die Knie. Dann wusste er plötzlich nicht mehr, was er tun sollte. Sein Herz sagte ihm, dass er sie in seine Arme schließen sollte, doch sein Verstand hielt dagegen. Diese Begegnung war etwas ganz anderes als die in seinem Wagen. Wer konnte schon sagen, was sie gerade empfand!
Runas Blick war nicht zu deuten. Sie schien durch ihn hindurchzusehen. Er war sich nicht sicher, was genau man ihr bereits angetan hatte. Manche Wärter vergingen sich an den Frauen in den Verliesen – waren sie doch wehrlose Opfer, denen niemand zu Hilfe eilen würde. Stumm flehte Johann, dass ihr das erspart geblieben sein mochte. Gerade als er sie erneut ansprechen wollte, nahm sie ihre Hände von den Ohren.
»Johann. Bist du es wirklich?«
»Ja, Runa. Ich bin es«, antwortete er mit großer Erleichterung und blickte in ihr gequältes
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