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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Tan
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auf die roten Striemen, die seine sonst ebenmäßige Haut durchschnitten. »Johann, was hast du getan?«, fragte sie flüsternd, während sie sacht die harten Linien mit dem Finger nachzeichnete. Es schmerzte sie unendlich zu sehen, dass er sich ihretwegen so gequält hatte, und trotzdem waren die Erhebungen und Einkerbungen deutliche Zeugnisse seiner unendlichen Liebe zu ihr. Liebevoll küsste sie jede einzelne von ihnen, bis Johann sie wieder zärtlich an seine Lippen zog und ihr im Überschwang der Gefühle seine Liebe gestand: »Ich liebe dich, Runa.«
    »Und ich liebe dich!« Erst nach diesen Worten fühlte sich Runa endlich stark genug, ihm die eine Frage zu stellen, welche über ihnen hing wie eine schwarze Wolke: »Was haben sie mit mir vor, Johann? Du musst es doch wissen, also sag es mir bitte!«
    Er hatte geahnt, dass diese Frage kommen würde, und trotzdem fühlte er sich einer Antwort nicht gewachsen. Johann hätte ihr gern die Wahrheit verschwiegen oder wenigstens sanfter beigebracht, doch für die Folter gab es keine sanften Worte. »Du sollst peinlich befragt werden.«
    Runa war gefasster, als sie selbst gedacht hätte. Nun war es gesagt. Sie hatte es ohnehin geahnt. Ihr war klar, was das zu bedeuten hatte: Es gab kaum eine Möglichkeit zu überleben. Wenn sie gestand, eine Hexe zu sein, würde man sie verbrennen, nachdem man ihr zuvor gnädigerweise den Kopf abgeschlagen oder sie erwürgt hatte. Überstand sie dagegen die Folter und weigerte sich weiterhin zuzugeben, eine Hexe zu sein, würde man ihr womöglich glauben. Doch sie würde die Folter nicht überstehen – schon gar nicht nach einer Geburt. Vermutlich würde sie schon bei der ersten Pein alles zugeben, was man ihr vorwarf, was ihren sicheren Tod bedeutete.
    »Runa, es gibt noch etwas, das ich dir sagen muss«, fuhr Johann fort.
    »Sprich nur, mein Geliebter«, sagte Runa, noch immer gefasst. »Wenn es etwas Schlimmes ist, will ich es wenigstens in deinen Armen erfahren.«
    Johann wünschte, dass dies die Sache tatsächlich leichter machen würde, doch es wäre wohl eher das Gegenteil der Fall. »Willekin Aios hat mir die Führung des Verhörs übertragen«, begann Johann zögerlich. »Ich habe versucht, ihn davon abzubringen, doch er hat sich geweigert, mich auch nur anzuhören. Das heißt …«, Johann musste schwer schlucken, bevor er weitersprechen konnte, »… das heißt, ich werde derjenige sein, der deine Folter befehligen wird, nachdem du dein Kind geboren hast.«
    Nach diesen Worten herrschte eine Zeit lang Stille. Das war der Gipfel allen Gräuels. Doch diesmal war es Runa unmöglich auszumachen, wer von ihnen beiden das größere Leid zu ertragen hatte. »Dies, mein Liebster, ist wohl die gerechte Strafe für unsere Sünden. Unsere Liebe wird gleichzeitig unser Tod sein.«

5
    Es musste die Stille des Waldes sein, die ihn stets in aller Frühe weckte, vermutete Albert. In Hamburg waren immer irgendwelche Geräusche von der Straße her ins Haus gedrungen. Hier, auf der Riepenburg, gab es nichts: keine schreienden Marktweiber, keine hämmernden und klopfenden Handwerker oder rumpelnde Ochsen- und Pferdewagen. Selbst der Hahn krähte immer erst gegen die Mittagsstunde.
    Auch heute schien Albert mal wieder als Erster wach zu sein, doch anders als an den vergangenen Tagen hielt ihn an diesem Morgen nichts mehr in seiner Kammer. Er musste raus, seine Glieder strecken und die frische Morgenluft einatmen. Geschwind kleidete er sich an und schritt die Treppe der Burg hinunter.
    Obwohl es nie eine direkte Absprache mit Eccard Ribe gegeben hatte, war ihm klar, dass er sich im Inneren der Burganlage bis hin zum äußersten Wall hinter dem Wassergraben frei bewegen durfte. Seit dem Abend in Eccards Burgsaal hatten die Männer ein verhaltenes Vertrauen zueinander gefasst. Dieses Vertrauen reichte zunächst so weit, dass der Ritter Albert gewährte, sich unter Aufsicht seiner Wachen auf dem Burghof aufzuhalten. Nur drei Tage später zogen es die Wachen plötzlich vor, in ihren Wachhäuschen sitzen zu bleiben, anstatt ihn auf Schritt und Tritt zu verfolgen. Albert verstand, dass diese neue Freiheit ein Zugeständnis Ribes an ihn war, was er ihm mit seinem Gehorsam dankte.
    Auch wenn er sich sehr nach seiner Familie sehnte und lieber heute als morgen die Burg verlassen hätte, wäre ihm niemals in den Sinn gekommen, das Vertrauen des Ritters auszunutzen. Er war ein Mann des Wortes und würde sein Einlager akzeptieren wie ein Ehrenmann, wenn

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