Tochter des Ratsherrn
Das versteht Ihr doch, oder?«
»Mein Bruder in Christo, selbst Jesu Jünger haben Judas den Verräter nicht als einen solchen erkennen können, bevor seine Niedertracht ihn übermannte und er unseren Herrn verriet«, erwiderte Vater Everard salbungsvoll. »Euer Versagen ist also durchaus verzeihlich. Allein Gott ist ohne Fehl, und allein Jesus sieht das Übel, bevor es geschieht – so wie er den Verrat Judas’ gesehen und ihn seinen Jüngern vorhergesagt hat.«
»Welch weise Worte, Bruder«, erwiderte Johann, beeindruckt von Everards Schlagfertigkeit.
»Männer wie wir sind bloß dazu da, um so gut zu dienen, wie es unsere unvollkommene Seele eben zulässt. Es ist fast schon eine Sünde, die Unfehlbarkeit Gottes anzustreben, Ratsnotar. Aber das wisst Ihr ja selbst.«
Johann bemerkte sehr wohl, dass Vater Everard versuchte, ihn mit dem Vorwurf des Hochmuts in Verlegenheit zu bringen. Doch das würde er ganz sicher nicht zulassen. Hinter den scheinbar frommen Worten des Geistlichen verbargen sich eine zwiespältige Zunge und heimtückische Berechnung. Während er Johann Glaubensunterweisungen erteilte, schien für Vater Everard selbst das Gelübde der Demut nicht zu gelten. Johann ließ sich nicht anmerken, dass er dem Mann ob seiner Heucheleien am liebsten ins Gesicht gespuckt hätte. Stattdessen sagte er: »Eure Worte sind untadelig. Ich danke Euch, dass Ihr mich an das eigentliche Ziel unserer christlichen Arbeit erinnert habt. Ihr seid unseren Brüdern und Schwestern ein gutes Vorbild.«
Everards aufgesetztes Schamgefühl ließ ihn tatsächlich einen kurzen Moment untertänig blicken. »Euer Dank und Lob ehren mich zutiefst, doch bin ich bloß des wahren Glaubens eifrigster Diener. Wenn ich Euch sonst wie behilflich sein kann, dann lasst es mich nur wissen.«
Die Verlogenheit dieser Worte stieß Johann sauer auf, trotzdem kamen sie ihm gelegen. Er würde dieses falsche Angebot schamlos für seine eigenen Zwecke nutzen. »Erwägt genau, was Ihr mir anbietet, Bruder. Ich könnte es annehmen«, gab er daher zu bedenken und lehnte sich mit verschwörerischem Blick über den Tisch zu Vater Everard herüber. »Auch wenn es möglicherweise etwas verwunderlich klingen mag, ich würde gerne von Euch lernen. Zwar stehe ich als Domherr im Rang weit über Euch, doch meine Talente scheinen den Euren in dieser Sache unterlegen zu sein. Ihr versteht sicher, wie schamvoll diese Erkenntnis für mich ist und wie viel Überwindung mich darum meine folgende Bitte kostet.« Johann setzte sein vertrauenswürdigstes Gesicht auf und fuhr mit schmeichelnder Stimme fort: »Erzählt mir von Eurer Entdeckung. Ich möchte ganz genau wissen, wie Ihr diesem Weibsbild auf die Spur gekommen seid. Vielleicht erkenne ich so meine eigenen Fehler und Versäumnisse bei der Suche nach Hellsichtigen und ihresgleichen.«
Vater Everard faltete die Hände und ließ seine Daumen umeinander kreisen. »Nun, ich bin mir nicht sicher, ob ich Euch so viel Neues erzählen kann. Gott hat mich geführt. Ich war sein Werkzeug und habe bloß getan, was er mir eingegeben hat. Es überrascht mich mindestens ebenso wie Euch, dass er für eine so bedeutende Sache einen so unbedeutenden Mann wie mich erwählt hat. Jemand wie Ihr wäre auf jeden Fall weitaus geeigneter dafür gewesen.«
»Ja, Gottes Wege sind für uns manchmal nur schwer zu ergründen«, gab Johann, verärgert über die selbstverliebten Worte dieses kleinen Landgeistlichen, zurück, die nur davon ablenken sollten, dass er nicht wirklich bereit war, ihm etwas zu erzählen. Doch dann kam ihm eine Idee, wie er des Priesters Zunge lockern könnte. »Mein Bruder, Ihr wisst sehr wohl, ich bin ein einflussreicher Mann. Möglicherweise könnte es sich für Euch lohnen, mir zu berichten; wenn Ihr versteht, was ich meine.«
Das Gesicht seines Gegenübers erhellte sich schlagartig. »Ich muss gestehen, das Gespräch mit Euch wird immer erfreulicher.« Jäh wurde sich Vater Everard seines gierigen Blickes gewahr und setzte demütig nach: »Natürlich werden weltliche Güter dem steten Wunsch des Erwerbs meines Platzes im Himmelreich immer nachstehen, doch wenn Ihr darauf besteht, mich zu entlohnen, kann ich es Euch wohl kaum abschlagen.«
»So ist es«, schmeichelte Johann weiter. »Wenn Ihr nun so freundlich sein wollt, mir zu erklären, wie Ihr das wahre Gesicht der Hexe erkannt habt, würde mein Dank sicherlich großzügig ausfallen.«
»Nun denn, ehrenwerter Ratsnotar, unter diesen Umständen will ich
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