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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Tan
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meine Erfahrungen mit Euch teilen« Vater Everard stützte die Ellbogen auf den Tisch und blickte Johann tief in die Augen. »Ich habe es schon lange geahnt, müsst Ihr wissen. Die Anzeichen waren einfach allzu deutlich. Da war zunächst die übermäßige Schönheit der Hexe, die mich misstrauisch gemacht hat.«
    »Wie wahr, wie wahr. Jetzt, da Ihr es erwähnt, fällt es auch mir auf«, antwortete Johann mit gespielter Ruhe. Am liebsten wäre er Vater Everard an die Kehle gesprungen.
    »Dann waren da noch ihre Kinder. Der Junge blond wie Vater und Mutter und das Mädchen dunkel, mit braunen Augen. Ist das nicht seltsam? Ich sage Euch, dieses Kind muss in Unzucht mit dem Teufel gezeugt worden sein. Das würde beispielsweise auch erklären, warum die Kleine plötzlich diesen seltsamen Ausschlag an den Armen bekam – Teufelsmale waren das«, spie der Kirchenmann angeekelt aus.
    Johann nickte gespielt fassungslos und bekreuzigte sich, um sein Erschaudern glaubhafter erscheinen zu lassen. »Ich sehe, Ihr verfügt über eine gute Beobachtungsgabe.«
    »Das war aber noch längst nicht alles. Hinzu kommen noch diese schwarze Katze und die Kräuter, die die Hexe benutzt hat. Lediglich bei der Haarsträhne habe ich – wie soll ich es nennen – etwas nachgeholfen.«
    Johann horchte auf. »Wie soll ich das verstehen? Was meint Ihr damit?«
    »Ach«, erwiderte Everard schulterzuckend. »Ihr wisst doch selbst, wie der Pöbel ist. Die schlichten Leute sind nicht gewitzt genug, um die Dinge so zu sehen, wie Ihr oder ich sie sehen. Das Volk braucht etwas Greifbares, um überzeugt zu werden. Ausschließlicher Glaube allein genügt da nicht. Darum habe ich die Haare der Hexe rot einfärben lassen.«
    »Wie außerordentlich geschickt von Euch! Wer war Euch dabei behilflich?«
    »Die Magd des Hauses – Johanna – hat es getan.« Noch bevor Johann Schinkel etwas erwidern konnte, fügte Everard hinzu: »Aber das anschließende Wunder war echt.«
    »Das Wunder? Meint Ihr, dass die Stumme plötzlich wieder sprechen konnte?« »Ja genau. Bis zu diesem Tage war noch nie ein Wort über ihre Lippen gedrungen. Gott hat seine Zustimmung eindeutig durch das Weib kundgetan. Wen interessiert da noch mein kleiner Schwindel mit den Haaren? Ich denke, darüber wird der Herr im Himmel schon hinwegsehen. Schließlich war die Verhaftung der Hexe ja in seinem Sinne.«
    »Gewiss«, stimmte Johann zu. Auch wenn er durchaus erschrocken darüber war, dass Vater Everard die Haarsträhne hatte rot einfärben lassen, um die Menge zu täuschen, musste er zugeben, dass das Wunder an der Magd tatsächlich schwerer wog. Schon seitdem Willekin Aios ihm davon erzählt hatte, zerbrach er sich darüber den Kopf, doch es war ihm noch immer unbegreiflich. Zu gerne hätte er sich selbst davon überzeugt, dass sie nun sprechen konnte – vor allen Dingen jetzt, da er wusste, dass sie an den Machenschaften des Geistlichen beteiligt gewesen war. »Sagt, wo ist die Magd im Augenblick? Steht sie in Eurem Dienst?«
    »Ich hatte vor, sie in meinen Dienst zu stellen, doch sie ist verschwunden.«
    »Verschwunden? Was soll das heißen?«
    »Sie ist fort. Als hätte sie sich in Luft aufgelöst. Seitdem die Hexe ins Verlies gebracht wurde, ist sie nicht mehr aufgetaucht. Sie ist genauso verschwunden wie der Rest der scheinheiligen Sippe. Einzig die lahme Magd Agnes ist geblieben.«
    »Die ganze Sippe ist fort?«, fragte Johann ernsthaft verwundert. Bislang hatte er noch keinen Gedanken daran verschwendet, was mit dem Rest von Runas Familie geschehen war.
    »Ja, sie sind allesamt aus der Stadt geflüchtet«, gab Everard in wissendem Ton zurück.
    »Geflüchtet? Alle? Das ist ja kaum zu glauben«, stammelte Johann nun sichtlich fassungslos. Er konnte sich nicht erklären, warum die Familie Runa ausgerechnet jetzt allein gelassen haben sollte. Der Ratsnotar war so mit seinen Gedanken beschäftigt, dass er Vater Everards bedeutungsschweres Schweigen zunächst gar nicht bemerkte. Endlich sah er fragend auf. »Warum sagt Ihr denn gar nichts mehr?«
    »Es gibt da noch etwas, das Ihr nicht wisst, Ratsnotar«, gestand der Geistliche zögerlich.
    »So? Und was?«
    Der kleine Kirchenmann schwieg und schien abzuwägen, ob er seinem hochrangigen Gast dieses Geheimnis anvertrauen konnte. Obzwar er schon einiges erzählt hatte, war diese Sache doch weit gewichtiger als eine eingefärbte Haarsträhne.
    Johann bemerkte Everards Zweifel und bemühte sich um einen vertrauenerweckenden Ausdruck im

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