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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Tan
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Herr. Bitte kommt doch herein. Ich werde meinem Herrn gleich Bescheid geben.«
    Johann trat in die Diele und sah sich um, während die Magd mit steifen Beinen davonhinkte. Auf dem Boden lagen ordentliche Flechtmatten aus Stroh, und es gab einen Kamin, der aber augenscheinlich nur selten benutzt wurde. Aus einer der offenen Türen zog ein verführerischer Duft nach gekochtem Fleisch. Flüchtig dachte Johann, dass ein Geistlicher wie Vater Everard Fleisch eigentlich nur gelegentlich zu sich nehmen sollte, wenn er sich nicht der Sünde der Völlerei schuldig machen wollte, doch daran hielten sich ohnehin die wenigsten Kirchenmänner. Sein Blick wanderte die Stiegen hinauf. Er fragte sich, wie es wohl im oberen Stock aussehen mochte. Zu gern wäre er durchs ganze Haus gelaufen, um in alle Räume zu schauen, doch das war natürlich nicht möglich.
    Hier hatte Runa also all die Jahre gelebt, nachdem sie aus dem Beginenkloster ausgetreten war und Walther sie zu seiner Frau genommen hatte. Johann musste zugeben, dass er sich das Haus weitaus weniger prächtig vorgestellt hatte.
    »Ratsnotar Schinkel, was führt Euch zu mir? Ihr seht mich geehrt und überrascht zugleich.«
    Johann drehte sich um und sah vor sich einen kleineren Mann mit hängenden Wangen, die ihn stark an einen Hund erinnerten. Dies war er also: Runas und somit auch sein größter Feind – Vater Everard!
    Trotz seines freundlichen Ausdrucks strahlte der Kirchenmann etwas Bedrohliches aus. Johann war gewarnt. Mit diesem Priester war nicht zu spaßen, das erkannte er gleich. Doch galt es noch genauer zu erfahren, mit wem er es zu tun hatte. Johann musste unbedingt herausfinden, was dieser Mann wusste und dachte. Daher setzte er sein offenherzigstes Gesicht auf und begrüßte den fremden Geistlichen mit dem scheinbar größten Respekt. »Aber, aber, ich bitte Euch«, wiegelte Johann ab, während er sich knapp verbeugte. »Ich fühle mich nicht minder geehrt. Schließlich seid Ihr der kühne Hexenbezwinger, den die Hamburger gerade wie einen Helden verehren.«
    »Nicht doch, Ihr schmeichelt mir gar zu sehr, Ratsnotar. Ich habe nur meine Christenpflicht getan.«
    »Eure Bescheidenheit lässt Euch in meiner Hochachtung nur noch mehr steigen«, widersprach Johann und bemerkte ein Funkeln in Vater Everards Augen. Sein Plan nahm einen guten Anfang – der Geistliche liebte Schmeicheleien.
    »Darf ich Euch auf einen Schluck kräftigen Weins hinaufbitten? Es wäre mir eine Ehre«, lud der kleine Geistliche den Ratsnotar ein, worauf dieser sich abermals verbeugte.
    »Wenn Ihr ein wenig Eurer kostbaren Zeit erübrigen könnt, dann nehme ich gerne an.«
    Nachdem die lahme Magd einen Krug des guten Weins in die Stube gebracht und in die kostbaren Pingsdorfer Keramikbecher gefüllt hatte, die nur wohlhabende Leute besaßen, war die Zeit der überschwänglichen Begrüßungsworte vorbei.
    »Nun, was führt Euch zu mir, Ratsnotar?«
    »Nichts Geringeres als der Dank einer ganzen Stadt«, begann Johann breit lächelnd. »Wie Ihr Euch vielleicht denken könnt, spricht mittlerweile jedes Kind in Hamburg von Eurer Tat. Ich wollte dem Mann höchstpersönlich ins Gesicht blicken, der die Hexe Runa von Sandstedt überführt hat. Doch zugegeben, wie vermutlich alle Bürger Hamburgs frage ich mich, wie es Euch gelungen ist, das Weib zu enttarnen.«
    Die Männer blickten einander schweigend an. Dann griffen sie gleichzeitig zu ihren Bechern und tranken ein paar Schlucke, ohne die Augen voneinander zu nehmen.
    Auch wenn der klein gewachsene Kirchenmann sich bei der Begrüßung noch sichtlich geschmeichelt gefühlt hatte, schien die genauere Nachfrage des mächtigen Ratsnotars sein Misstrauen zu wecken, wie Johann sehr wohl bemerkte. Dieser Vater Everard war weit klüger als vermutet. Er musste sein Vorgehen ändern und versuchen, dessen Misstrauen zu zerstreuen, indem er ein Gefühl männlicher Verbundenheit zwischen ihnen herstellte. Sein Einfallsreichtum war noch lange nicht erschöpft. »Ich weiß, dass Ihr fremd in der Stadt seid, mein Bruder. Trotzdem habt Ihr sicherlich gehört, dass ich neben meiner Arbeit im Rat auch noch Domherr bin?«
    »Selbstverständlich.«
    »Dann wisst Ihr gewiss auch, dass ich in dieser Tätigkeit unentwegt darum bemüht bin, Satans Machenschaften in dieser Stadt zu bekämpfen. Dennoch ist es mir nicht gelungen, diese schändliche Hexe zu entdecken, und das, obwohl sie genau vor meinen Augen tätig war. Ich gebe zu, dass mein Ehrgefühl darunter leidet.

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