Tochter des Ratsherrn
der Stadt, Vater.«
»Gewiss, mein Sohn. Das habe ich mir gedacht«, sprach der Geistliche mit sakraler Ruhe. »Der Walther, den ich meine, ist blond und verdingt sich als Nuncius bei einem Kaufmann.« Erwartungsvoll starrte er den Wachmann an, doch auch diese Information nutzte nichts. Der junge Kerl schaute ihn nur weiter fragend an. Einer letzten Hoffnung folgend erklärte der Fremde noch, dass der Gesuchte ungefähr fünfunddreißig bis vierzig Lenze zähle, aber auch das konnte seinem Gegenüber nur ein Schulterzucken entlocken. Langsam verlor der Geistliche die Geduld. »Nun starr mich nicht so an, Bursche. Denk nach. Ich bin doch nicht den ganzen weiten Weg aus Sandstedt hierhergekommen, bloß um mich von dir anglotzen zu lassen!«
Plötzlich wurde der Wachmann lebendig. »Sagtet Ihr Sandstedt , Vater? Es gibt jemanden hier in der Stadt, den man Walther von Sandstedt nennt.«
Die Augen des Gottesmannes erhellten sich. Zufrieden nickend zog er den linken Mundwinkel in die Höhe. »Siehe da, mein Junge. Der Herrgott hat dir deinen Kopf wohl doch zum Denken geschenkt.«
Auf dem Gesicht des Wachmanns zeichnete sich Erleichterung ab. »Es freut mich, dass ich Euch helfen konnte, Vater.«
»Schon gut. Und nun führe mich zu ihm.«
Das Lächeln des jungen Mannes verschwand. »Vater … ich … das kann ich nicht tun«, stammelte er unbeholfen. »Es ist mir nicht erlaubt, meinen Platz an der Mauer zu verlassen. Bitte verzeiht …«
Diese Antwort war nicht, was der Kirchenmann zu hören wünschte. Ungeduldig verdrehte er die Augen gen Himmel. Diese Geste war allerdings nur gespielt. Er wusste genau, wie er bekam, was er wollte. Mit gefalteten Händen sprach er laut: »Herr, ich weiß, dieser Wachmann lässt es an Gehorsam Dir gegenüber mangeln. Bitte verzeih diesem irregeleiteten Schaf, und verfahre mild mit ihm, wenn er eines Tages an Deine Pforte klopft.«
Mit wachsendem Unwohlsein betrachtete der Junge die Szenerie. Wenn es etwas gab, das ihn noch mehr ängstigte als sein erster Wachdienst, dann waren es Geistliche der heiligen Mutter Kirche, die fortwährend mit dem Fegefeuer drohten. Nur einen Moment später hatte er einen anderen Wachmann aufgetrieben, der seinen Platz am Millerntor einnahm. Gleich darauf hastete er schnellen Schrittes durch die Stadt, dicht gefolgt von dem Priester.
Ihr Weg führte sie über den Burstah, dann überquerten sie die Mühlenbrücke und bogen rechts in die Bäckerstraße ein. Wenige Schritte später passierten sie schon das Eimbecksche Haus und die Münze, hielten sich rechts und dann wieder links. Der junge Mann war sich sicher, dass hier der Walther wohnte, den der Geistliche zu sehen wünschte.
Mit einem letzten Segensspruch wurde der Wachmann von dem Fremden aus Sandstedt entlassen, der nun reglos und staunend vor einem steinernen Giebelhaus stand. Er wusste nicht so recht, was er erwartet hatte, doch dieses prächtige Haus übertraf seine kühnsten Vorstellungen. Wenn hier tatsächlich sein einstiges Mündel wohnte, dann hatte es dieses wahrhaft zu Wohlstand gebracht.
Mit drei beherzten Schritten trat er vor die Türe und pochte heftig gegen das massive Holz. Eine ganze Weile war kein Laut von innen zu hören. Nur das Geschrei der auf den Straßen umherlaufenden Kinder und das Gegrunze der Schweine, die immerzu irgendwelche Dinge vom Boden fraßen, drangen an sein Ohr. Dann vernahm er endlich ein Quietschen, und die Tür wurde geöffnet.
Vor ihm stand eine dürre Magd mit blonden Wimpern und Brauen. Sie hatte ein herbes, fast hässliches Gesicht. Gleich darauf erschien dahinter eine weitere Magd, die sich trotz ihrer Jugend auf einen Stock stützte. Der Priester richtete spontan das Wort an die Blonde. »Sagt, wer wohnt in diesem Hause?«
»Sie kann nicht sprechen, Vater«, antwortete die Verkrüppelte an ihrer statt.
Verwirrt blickte der Geistliche zwischen den beiden jungen Frauen hin und her. Das konnten unmöglich die Mägde dieses Hauses sein. War er vielleicht doch in einem Armenstift gelandet? Doch noch bevor er seiner Verwunderung Ausdruck verleihen konnte, wurde er aufgeklärt.
Eine wahre Schönheit trat hinter den beiden Frauen hervor und sagte mit glockenklarer Stimme: »Danke, Johanna, danke, Agnes. Ihr könnt jetzt gehen.« Dann wandte sie sich dem Unbekannten zu. »Was kann ich für Euch tun, Vater?«
Der Priester war einen Moment lang wie geblendet. Doch als er sich gewahr wurde, dass er die Dame anstarrte wie ein lüsterner Trunkenbold, zwang er
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