Tochter des Ratsherrn
sich zur Ordnung. Er musste seine Worte mit Bedacht wählen; wusste er doch nicht, ob er in diesem Hause tatsächlich willkommen war. Der Priester beschloss kurzerhand, es wäre das Beste, zunächst einmal Eintritt zu finden. »Gute Frau, wäret Ihr so liebenswürdig, einem armen Priester auf Reisen etwas zu trinken zu geben?«
»Gewiss doch«, war die freundliche, aber sichtlich verwunderte Antwort der Schönen. Sie trat einen Schritt zurück und gewährte dem Gast Einlass, dann verschwand sie und ließ den Geistlichen allein in der Diele des Hauses zurück.
Während er auf ihre Rückkehr wartete, ließ er seinen Blick umherschweifen. Der Boden des Hauses war großzügig mit Flechtmatten aus Stroh ausgelegt, um die Kälte fernzuhalten. Auch wenn hier keine Möbelstücke standen, war der Reichtum in diesem Hause auch auf andere Weise sichtbar. Ein Blick in den leuchtenden Kamin, in dem ein verschwenderisch großes Feuer brannte, genügte.
Die Schöne kam zurück mit einem Krug und einem Becher. Während der Geistliche trank, herrschte eine merkwürdige Stille. Nachdem sie ihre Christenpflicht getan hatte und der Fremde den nächsten Becher dankbar ablehnte, fragte sie: »Gibt es sonst noch etwas, das ich für Euch tun kann, Vater?«
Dies war der richtige Augenblick, um nach Walther zu fragen. Eine weitere Gelegenheit würde es kaum mehr geben. »Sagt, werte Frau, wohnt hier ein gewisser Walther von Sandstedt?«
Die Schöne machte ein erstauntes Gesicht. Sosehr sie sich auch bemühte, es gelang ihr nicht zu verbergen, dass der Kirchenmann ihr Unbehagen bereitete. »Ihr kennt meinen Mann?«
»Ja, ich kenne ihn. Das heißt, wenn er tatsächlich der Walther ist, den ich suche. Er war vor vielen Jahren mein Mündel.«
Die Schöne wurde blass. Ihr Mund klappte ein Stück auf, und sie begann zu schwanken. Beherzt griff der Geistliche nach ihrem Unterarm, um sie zu stützen. »Ist Euch nicht wohl, Werteste?«
»Es … es ist nichts. Das … das Kind in meinem Leib ist unruhig«, log sie, den wahren Grund ihrer Unpässlichkeit verschweigend.
Nie hätte sie gedacht, dass es so kommen könnte. Warum bloß hatte sie ihren Bruder nach Sandstedt geschickt? Was hatte sie damit angerichtet? Doch nun war es zu spät für Reue.
Walther schob Runa regelrecht in die Küche, wo die Mägde gerade dabei waren, das Mahl zu bereiten. »Raus, raus!«, herrschte er beide wütend an. Gleich nachdem sich die Türe hinter ihnen geschlossen hatte, wandte er sich an Runa. »Kannst du mir das erklären, Frau?«, donnerte er ungehalten und zeigte mit dem Finger zum oberen Stockwerk, wo der Geistliche saß.
Runa hatte eine Menge Zeit gehabt, sich auf diesen Moment vorzubereiten – schließlich lag Godekes Heimkehr aus Friesland schon längere Zeit zurück –, und doch waren ihr die rechten Worte einfach nicht eingefallen. Nun war der schlimmste Fall eingetreten, und sie stand einfach nur da – wortlos und ratlos.
Als Walther sein Haus vor einer Stunde vollkommen ahnungslos betreten hatte, war er unvermittelt auf den Kirchenmann gestoßen, der in der Diele auf ihn gewartet hatte. Sein Blick war ruckartig zu Runa gesprungen und dann wieder zurück zu dem Priester. Er war überrascht worden, und er machte keinen Hehl daraus, was er davon hielt.
Ein Blinder hätte sehen können, wie eigenartig die Begrüßung der Männer ausfiel. Während sich der Priester sichtlich zu freuen schien, sein einstiges Mündel nach so vielen Jahren endlich wiederzusehen, haftete Walthers Verhalten etwas Misstrauisches an.
Runa, die etwas hatte sagen wollen, um die Situation zu entspannen, wurde mit einem Fingerzeig ihres Gemahls zum Schweigen gebracht. Daraufhin führte Walther seinen ungebetenen Gast nach oben und schloss fest die Türe zur Stube hinter sich, sodass kein Wort der Männer nach außen drang. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis sich etwas regte. Erst als sich Runa die Nägel bereits bis zur Fingerkuppe abgebissen hatte, kam Walther herunter. Sie wusste, dass sie ihrem Gemahl nun die Wahrheit sagen musste, doch ihr blieb nicht viel mehr, als die Worte des Priesters zu bestätigen. Dieser hatte Walther bereits erzählt, woher er wusste, dass sein einstiger Ziehsohn noch am Leben war und in Hamburg wohnte.
Runa wünschte in diesem Moment nichts mehr, als dass sie in den vergangenen Tagen eindringlicher darauf bestanden hätte, dass Walther ihren Worten Gehör schenkte. Sie hatte mit ihm reden wollen, mehrfach sogar. Doch das zählte nun nicht
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