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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Tan
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über die Arbeit der Frauen oder seine Forderung an Freyja in diesem Moment mehr ärgerten. Stumm flehte sie, das Mädchen möge den verdammten Kringel endlich herausgeben, damit diese Pein ein Ende habe.
    Thymmo schien das Gleiche zu denken. Vorsichtig griff er mit der einen Hand nach dem Gebäck und strich seiner weinenden Schwester mit der anderen Hand sanft über den Rücken. Doch er kannte seine Schwester nur zu gut und hätte wissen müssen, was nun folgte.
    Wütend und trotzig zugleich zog sie ihre Hände in die entgegengesetzte Richtung, sodass ihr Bruder sie nicht mehr erreichen konnte.
    In diesem Augenblick schoss der Geistliche blitzschnell von seiner Bank hoch und schlug Freyja so heftig ins Gesicht, dass ihre braunen Haare nur so flogen und der Kringel vor Johannas Füßen landete.
    Agnes entfuhr ein Laut des Entsetzens. Sie konnte einfach nicht glauben, was dort vor ihren Augen geschah. Um die wüsten Verwünschungen, die sie dem Geistlichen am liebsten entgegengeschleudert hätte, nicht aus Versehen laut auszurufen, hielt sie die Luft an und biss sich voller Zorn auf die Lippen. Freyja tat ihr unendlich leid.
    Mit der Verachtung, die sonst nur Hexen und Dieben zuteil wurde, sagte Vater Everard an das kleine Mädchen gerichtet: »Wenn ich dir das nächste Mal etwas auftrage, gehorchst du besser gleich, du missratenes Balg. Ansonsten werde ich dich zwingen, die andere Wange auch noch hinzuhalten, wie Jesus Christus es uns gelehrt hat.« Damit verschwand er eiligen Schrittes aus der Küche.
    Freyja hatte seine Worte zwar gehört, doch verstehen konnte sie sie nicht. Es war für das Mädchen nicht zu begreifen, warum der Priester wollte, dass ihr Bruder zwei Kringel bekam und sie keinen. Verzweifelt weinend ließ sie sich von Agnes auf den Arm nehmen und trösten. Ihre Wange hatte sich bereits leuchtend rot verfärbt.
    Thymmo war nicht weniger verwirrt über das Verhalten des Geistlichen. Dennoch fragte er sich, ob ein Mann der Kirche tatsächlich irren konnte. Wenn er behauptete, dass ein Junge mehr zu essen brauche als ein Mädchen, dann musste das doch stimmen. Plötzlich fiel sein Blick auf den am Boden liegenden Kringel. Als er sich gerade danach bücken wollte, fuhr Agnes ihn erbost an: »Wag es ja nicht, dieses verdammte Ding anzufassen, Thymmo. Mir ist egal, was Vater Everard eben gesagt hat. In meiner Küche wirst du niemals mehr oder weniger zu essen bekommen als deine Schwester.«
    Fast wie ein Dieb schlich sich Walther aus seinem eigenen Haus. Er musste raus. Weg von seinem Ziehvater, dem er seit Tagen aus dem Weg ging, weg von den Sorgen um Thiderich, die in seinem Haus genau wie in Alberts allgegenwärtig waren. Das Gefühl, nichts für seinen Freund tun zu können, lastete schwer auf ihm.
    Nachdem die Gruppe reisender Kaufleute sich ohne Thiderich wieder in Hamburg eingefunden hatte und noch weitere Tage ohne jedeNachricht von ihm verstrichen waren, gab es keinen Grund mehr zu hoffen. Thiderich war verschollen, und Godeke, Albert und Walther waren ratlos. Welche Vermutung sie auch anstellten, nichts kam ihnen wahrscheinlich vor. War Thiderich von Plackern überfallen worden, die auf reiche Beute aus waren, oder war er bei einem Sturz von seinem Pferd ums Leben gekommen? Hatte es ein Unwetter gegeben, das ihn vom Wege hatte abkommen lassen, oder war er von üblem Gelichter in Plöns Schenken hinterrücks erschlagen worden?
    Es war hoffnungslos, darüber zu sinnieren. Wie sollten die Freunde es je herausfinden? So unerträglich die Wahrheit für sie auch war, es gab nichts, das sie hätten tun können, um Thiderich ausfindig zu machen. Wo auf dem weiten Weg nach Plön sollten sie mit der Suche beginnen? Verschollene hinterließen in der Regel keine Hinweise auf ihren Verbleib.
    Außerdem hatten sie keine Ahnung, ob Thiderich dem Grafen seine Münzen hatte übergeben können, schließlich hätte ein Überfall sowohl auf der Hin- als auch auf der Rückreise geschehen können. Da ihr Freund heimlich allein gereist war, anstatt sich einer Gruppe Reisender mit wehrhaften Männern anzuschließen, gab es niemanden, der sich für die Übergabe des gräflichen Anteils verbürgen konnte. Und nun waren er und ein ganzer Sack voller Münzen fort! Diese Tatsache bot ein willkommenes Fressen für all jene, die an Thiderichs Ehrlichkeit zweifeln wollten. Böse Zungen konnten nun mit Leichtigkeit behaupten, er habe sich samt der gräflichen Beute davongemacht, und das konnte gefährlich für sie alle

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