Tochter des Ratsherrn
Gemächt hinaufgleiten.
Walther spürte, wie die Hand der Wirtsfrau in seinen Schritt wanderte, doch er war mittlerweile so betrunken, dass er sich ihrer nicht mehr erwehren konnte.
Als er keine Reaktion erkennen ließ, fragte sie mit gespielter Enttäuschung: »Gibt es denn gar nichts, womit ich Euch glücklich machen könnte?«
»Äh … doch …«, stammelte er schließlich mit bleierner Zunge. »Bringt uns noch ein Bier.«
Die Wirtin zog ruckartig die Augenbrauen hoch, ließ abrupt ihre Hände sinken und drehte sich wortlos um. Diese Abfuhr war deutlich.
»Großer Gott, was bist du nur für ein Narr?«, stieß Kuno verständnislos aus. »So betrunken kannst du doch gar nicht sein.«
»O doch, ich bin ziemlich betrunken. Aber nicht betrunken genug dafür «, gab Walther zurück.
»Mann, ich fasse es nicht. Du Holzkopf! Die ganze Zeit schon starrt sie zu uns herüber. Was glaubst du wohl, warum es hier von Männern nur so wimmelt? Sicher nicht wegen des verwässerten Gesöffs, das sie hier ausschenken. Jeder Kerl in der Schenke hofft, dass sie ihn ranlässt, und du gibst ihr eine Abfuhr. Ich sage ja, du bist ein Narr!«
Walther erwiderte nichts darauf. Er bereute es nicht, sie abgewiesen zu haben, wenngleich er von einem Heißsporn wie Kuno nicht erwartete, dass er ihn verstand. Andere Frauen interessierten ihn nicht. Runa hatte einfach alles, was eine Frau für ihn haben musste – das war ihm in der letzten Nacht ihres leidenschaftlichen Liebesspiels ein ums andere Mal klar geworden. Nie hätte er sie betrogen. Er liebte sie noch genauso wie am Tage ihrer Hochzeit – auch wenn sie seine Liebe nicht erwidern konnte.
12
Willekin Aios hatte gerade die Arme ausgebreitet, damit seine Frau ihn leichter ankleiden konnte, als es an der Tür klopfte. Das musste die Magd sein, dachte er bei sich, die ihm, wie immer vor den Ratssitzungen, noch einen stärkenden Trunk brachte. Je älter er wurde, desto mehr strengten ihn die ständigen Debatten und Streitereien an. Früher war es ruhig im Rathaus gewesen. Die Männer hatten sich mit Angelegenheiten wie dem Marktfrieden oder dem würdigen Empfang hoher Gäste beschäftigt. Heute war alles anders. Nahezu jede Sitzung war gespickt mit überaus bedeutsamen Themen, die stets Anlass zu hitzigen Wortgefechten boten.
Diese Tage forderten Willekin Aios’ ganze Kraft. Wie gern hätte er manches Mal die Last des Bürgermeisteramtes wieder abgelegt! Die kommenden Zeiten würden sogar noch mehr Zwietracht einbringen. Der Bürgermeister war sich sicher, dass die Abspaltung vom Grafenhause ihm die noch überwiegend dunklen Haare eines nicht so fernen Tages vollständig ergrauen ließ.
»Nun komm schon herein, Marget«, befahl er der schüchternen Magd mit seiner dröhnenden Stimme.
Langsam öffnete sich die Tür. Herein kam ein blutjunges Mädchen, den erwarteten Trunk in der rechten Hand. Ihre Linke hielt ein Stück Pergament, welches sie ihrem Herrn mit gesenktem Blick entgegenstreckte.
»Was ist das?«, fragte er unwirsch.
»Ich kann doch nicht lesen, Herr«, gab die Magd leise zurück.
Natürlich konnte sie das nicht. Willekin Aios nahm ihr das Pergament aus der Hand und begann den Inhalt zu studieren. Noch während er die unleserlichen Zeilen überflog, erklärte Marget ihm, wie sie zu dem Schreiben gekommen war.
»Eben klopfte es laut an der Tür, doch als ich öffnete, lag bloß dieser Brief auf der Schwelle.«
Der Bürgermeister hörte zwar, was das Mädchen sagte, doch er erwiderte nichts darauf. Zu sehr fesselte ihn der Inhalt der Zeilen.
Anhand des Gesichtes, das ihr Gemahl beim Lesen machte, konnte seine Frau bereits erkennen, dass der Inhalt des Briefes alles andere als erfreulich war. »Du kannst gehen, Marget«, sagte sie daher anstelle ihres Mannes zu der Magd.
Diese knickste und verließ die Kammer.
Der Bürgermeister ließ das Pergament sinken. Obwohl er eigentlich erbost über die soeben erfahrene Nachricht hätte sein müssen, fühlte er sich seltsam bedrückt. Was sollte er nun tun? Einen kurzen Augenblick erwog er gar, den Inhalt des Briefes zu ignorieren. Dann aber machte er sich gewahr, dass er der Bürgermeister Hamburgs war. Seine eigenen Belange durften in Rechtsfragen nicht entscheidend sein. Er musste so handeln, wie es das Gesetz der Stadt erforderte, ohne Rücksicht zu nehmen auf Männer, die ihm näherstanden als andere. Wer auch immer diesen Brief geschrieben hatte, erwartete sehr wahrscheinlich genau das von ihm. Entschlossen setzte
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