Tochter des Ratsherrn
nichts anderes übrig, als mich direkt an die betreffende Person zu wenden.« Sein Blick suchte den von Albert. Noch einmal atmete er tief ein, um dann wieder zu seiner gewohnt kräftigen Stimme zu finden. »Albert von Holdenstede, ist es wahr, dass sich Euer Handelspartner Thiderich Schifkneht derzeit in Plön befindet, um den Grafen Gerhard II. aufzusuchen, obwohl ein Handelsverbot mit ebendiesem ausgesprochen wurde?«
Alle Köpfe drehten sich gleichzeitig vom Bürgermeister zum Angesprochenen. Unterdrücktes Gemurmel schwoll an.
Albert fühlte sich, als hätte ihn ein Faustschlag getroffen. Die Frage des Bürgermeisters kam so unerwartet, dass ihm die Luft aus der Lunge wich. Wie konnte er von Thiderichs Reise wissen? Niemand wusste davon, außer seiner und Thiderichs Familie. Die Männer im Saal wurden langsam unruhig. Alberts Antwort ließ zu lange auf sich warten, doch ihm fehlten einfach die richtigen Worte. Endlich begann er zu sprechen. Es war ein beliebiger und unüberlegter Satz – all seine sorgsam zurechtgelegten Worte waren wie weggeblasen. »Die Reise Thiderichs wurde geplant, als der Rat in dieser Frage noch zu keiner Entscheidung gekommen war.«
Seine Worte kamen einem Geständnis gleich und ließen das unterdrückte Geflüster der Ratsherren nun lauter und empörter werden.
»Soll das heißen, es stimmt, was in diesem Brief steht?«, fragte Willekin Aios und hielt das Pergament in die Höhe, sodass es jeder sehen konnte.
Wieder einmal war Albert zu verdutzt, um sogleich etwas zu erwidern. Vor wenigen Augenblicken noch war er derjenige gewesen, der ein Geständnis ablegen wollte, und nun sah er sich plötzlich angeklagt. Verwirrt fragte er, was allen Männern auf den Lippen lag: »Was ist das für ein Brief? Woher kommt er, und was besagt er?«
»Dieser Brief wurde mir im Verborgenen zugespielt. Ich weiß nicht, von wem er stammt, aber als Bürgermeister bin ich verpflichtet, dem Inhalt nachzugehen – gerade wenn er so unerfreulich ist wie in diesem Fall.«
Albert fasste sich nach und nach. Der erste Schreck war überwunden, und die Entrüstung über jenen Brief in Aios’ Hand wuchs. Wütenden Blickes wies er auf einen leeren Platz auf der gegenüberliegenden Bank und sagte: »Wenn das so ist, dann solltet Ihr vielleicht überprüfen, ob dies nicht das Werk von Johannes vom Berge ist. Jedermann weiß, dass er seit Jahren nichts unversucht lässt, um mich zu stürzen. Ein Mann, der heimliche Anklageschriften verfasst und sie wie ein Dieb übergibt, ist des Rates nicht würdig.«
Der Bürgermeister konnte Alberts Wut über diese Schmach gut verstehen. Nur zu gerne hätte er der Gerechtigkeit halber getan, was Albert von ihm verlangte, doch das war nicht möglich. »Eure Vermutung ist leider unhaltbar, denn Johannes vom Berge befindet sich bereits seit einigen Tagen auf Reisen und kann den Brief deshalb kaum selber verfasst haben. Ich persönlich habe ihn die Stadt verlassen sehen, als ich in der Kurie unseres Ratsnotars war. Es tut mir leid.«
Albert wusste genau, dass Johannes’ Abwesenheit sicher kein Hindernis war. Männer wie er hatten für jede schmutzige Arbeit einen Handlanger. Doch Albert war auch schlau genug, den mächtigen Johannes vom Berge nicht noch weiter anzuklagen. Seine Position war ohnehin schon denkbar schlecht. Er hatte keine Beweise für seine Behauptung, und wenn er ehrlich war, konnte er sich selbst nicht erklären, woher sein Feind von Thiderichs Reise erfahren hatte. Dennoch war er sich sicher, dass Johannes vom Berge dahintersteckte, und dieser wusste offenbar mehr, als es gut für Albert war.
Willekin Aios war entgegen seiner Art überaus geduldig mit Albert gewesen. Er mochte den Kaufmann und wünschte sich sehr, dass die Vermutungen sich nicht bewahrheiteten, doch seine Hoffnung schwand mit jedem Moment. Er konnte und wollte einfach nicht glauben, dass dieser Mann, den er stets geachtet hatte, den Rat tatsächlich auf diese Weise hintergangen hatte. Mit Widerwillen stellte er seine letzte Frage: »Albert von Holdenstede, habt Ihr die Weisung des Rates missachtet, indem Ihr Euren Handelspartner zum Grafensitz nach Plön geschickt habt? Gebt mir eine einfache Antwort auf diese einfache Frage.«
Albert hatte keine Wahl mehr. Seine Antwort war schlicht, doch die Reaktion der Männer um ihn herum war vernichtend. »Ja, Thiderich Schifkneht ist nach Plön zum Grafensitz gereist.«
Augenblicklich schwoll das vorher schon laute Gemurmel zu einem entrüsteten
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