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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Tan
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ihn lauerte? Johannes würde es nie erfahren.
    Auch wenn er Kaufmann mit Leib und Seele war, hatte sich ein kleiner Teil von ihm seit jeher danach gesehnt, ein Ritter zu sein. Ein jeder Junge wollte das, und er bildete keine Ausnahme. Johannes hatte keinen Zweifel daran, dass aus ihm ein mutiger Kämpfer und ein schneller Reiter geworden wäre, den nichts davon hätte abhalten können, allzeit sein Leben im Kampf zu geben.
    Während er allein über die Wiese schritt, schweiften seine Gedanken mehr und mehr ab. Fast meinte er, der Wind trüge den Geruch der Schlacht zu ihm hinüber – eine Mischung aus Feuer, Blut und Schweiß. Auch war es ihm, als könnte er die grölenden Rufe der Kampfeslustigen in der Ferne vernehmen. Johannes fühlte es. Die Wut und die Angst der wilden Krieger. Seine Nackenhaare stellten sich auf, und sein Mund wurde trocken. Ohne es zu bemerken, umschlossen seine Finger die Zügel eines erdachten Streitrosses. Auf ein Zeichen seines Fürsten hin hätte er diesem Ross die Sporen gegeben – auf dass es sich samt seiner glänzenden Rüstung aufgebäumt hätte, um dann dem Feind entgegenzugaloppieren. Mit wildem Geschrei bohrte Johannes in Gedanken seine Lanze in jeden Dänen, der ihm in die Quere kam, und zerschmetterte unzählige Leiber mit seinem Schwert. Wie er die verfluchten Dänen hasste! Alle hätte er getötet. Ja, er wäre ein Held gewesen – einer, dem die Frauen bei seiner Rückkehr zuwinkten und für den die Männer unter derben Beglückwünschungen ihre Becher erhoben.
    Seine Hände hieben noch immer ins Leere, als er unvermittelt aus seinen Gedanken geholt wurde. Er hatte etwas mit seiner Stiefelspitze berührt, das metallisch geklimpert und in der Sonne aufgeblinkt hatte. Nun lag es wieder irgendwo versteckt im Gras. Johannes’ Neugier war geweckt. Unter den fragenden Blicken seiner Gefolgschaft ging er in die Knie und suchte den Boden ab. Er wollte schon aufgeben, da brach die Sonne erneut durch die Wolken und ließ eine Stelle im Gras aufblitzen. Johannes hob seinen Fund auf und betrachtete ihn mit offenem Mund. Es war ein großer goldener Fürspann mit einem langen Dorn, der zweifellos vor langer Zeit die Cotte eines edlen Mannes zusammengehalten hatte. Er war geformt wie ein Kleeblatt, und seine Vorderseite war über und über mit Edelsteinen besetzt, um die sich ein feines Muster rankte. Wer auch immer diese Schnalle an seinem Halsausschnitt getragen hatte, war ein reicher Mann gewesen; mehr noch, sie war wahrhaft eines Königs würdig!
    Nachdem er den kostbaren Fürspann grob von Schmutz und Erde befreit hatte, ließ er ihn vorsichtig in seine Tasche gleiten. Dies musste ein Zeichen Gottes sein. Er war ihm wohlgesinnt und würde ihm beistehen.
    Mit neuer Kraft gab Johannes vom Berge das Zeichen zum Aufbruch. Er wollte Plön noch erreichen, bevor die Nacht hereinbrach. Das letzte Stück ihrer Reise war nicht mehr weit, doch es war ebenso moorig und beschwerlich wie jene Wege, die bereits hinter ihnen lagen.
    Seine Truhen waren leer und die der reisenden Kaufleute nach Meinung von Graf Gerhard II. zu voll. Der Befehl an seine Ritter war demnach eindeutig gewesen: »Gebt Euch nicht zu erkennen, überfallt, raubt aus und kämpft, aber tötet nicht, sofern es sich vermeiden lässt!«
    So zogen sie los – durch ihre Rüstungen nahezu unverwundbar, die Gesichter unter den Helmen nicht auszumachen. Bereits seit Monaten machten sie nun die Wege um Plön, Lübeck und Hamburg unsicher und lehrten jeden Reichen das Fürchten. Doch mit der Zeit wurde es immer schwieriger, an die begehrte Beute zu kommen. Niemand, der es sich leisten konnte, reiste noch ohne Bewaffnete. Wo die Ritter anfänglich bloß ihre Hände auf ihre Schwertknäufe hatten legen müssen, um die Münzen regelrecht entgegengeworfen zu bekommen, wurden sie nun immer häufiger in blutige Kämpfe verwickelt. Doch das störte die gräflichen Gesandten wenig – im Gegenteil: Den meisten unter ihnen war diese Art des Überfalls sogar weit lieber, denn was war man schon für ein Ritter, wenn man sein Schwert niemals aus der Scheide zog?
    Ihr Vorgehen war immer das Gleiche. Mit ihren gewaltigen Rössern durchstreiften sie jene Gebiete, die am besten mit den schweren Wagen der Wohlhabenden zu passieren waren, oder postierten sich an den seichten Stellen der zahlreichen Flüsse, denen man auf dem Weg nach Plön nicht entgehen konnte. Sichteten sie dann ein Gefährt oder eine Schar von Reitern, schlugen sie unerbittlich zu und

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