Tochter des Ratsherrn
längst nicht mehr um den Besuch des Marktes, sondern vielmehr darum, dass Walther sich vor Vater Everard behauptete. Starr blickte er seinem Gegenüber in die Augen. Um keinen Preis der Welt hätte er jetzt nachgegeben!
Das Gesicht des Priesters lief rot an vor Zorn. Er war Widerrede nicht gewohnt, und so ballten sich seine Fäuste so kräftig, dass die Knöchel weiß hervortraten. »Dieses Haus ist voller Sünder, und du verschließt die Augen davor. Gott hat bereits zwei der Weiber unter deinem Dach mit Krankheit geschlagen. Die eine ist lahm, und die andere ist stumm. Was muss noch passieren, damit du endlich verstehst? Die Heilige Schrift sagt: ›Denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Kirche ist; er hat sie gerettet, denn sie ist sein Leib.‹«
Walther konnte sich gerade noch zurückhalten, die Augen zu verdrehen. Er hatte gewusst, dass es ihm eines Tages zum Nachteil gereicht werden würde, dass Runa Mägde angenommen hatte, die eigentlich in ein Krankenstift gehörten. Doch Walther war schlagfertig genug, um dem Priester entsprechend zu antworten. Er kannte die Stelle des Epheserbriefs, die der Priester gerade zitiert hatte – schließlich hatte ihn Vater Everard selbst früher in der Bibel unterwiesen. So antwortete Walther mit einem Satz, der auf derselben Seite der Heiligen Schrift stand: »›Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat.‹« Dann blickte er dem Geistlichen noch einmal tief in die Augen und schritt erhobenen Hauptes an ihm vorbei.
Vor Runa blieb er stehen und schaute zu ihr hinunter. Sie hatte ihren Kopf gesenkt. Mit seiner großen Hand hob er das zarte Kinn seiner Frau, sodass sie sich in die Augen blickten. Er lächelte liebevoll und kampfeslustig zugleich, dann sagte er: »Kaufe alles für ein üppiges Mahl, Frau. Deinem Gemahl gelüstet es nach weißem Brot, fettem Fleisch und rosigem Fisch.« Nach diesen Worten ließ er Runas Kinn wieder los und zwinkerte ihr so unauffällig zu, dass es Vater Everard verborgen blieb.
Der Kirchenmann schnappte hörbar nach Luft. So viel Dreistigkeit war ihm selten untergekommen. Für einen kurzen Moment fehlten ihm tatsächlich die Worte.
Runas Herz hingegen machte einen Sprung vor Freude. Das wunderbare Gefühl, von Walther verteidigt worden zu sein, wurde nur davon übertroffen, den furchtbaren Geistlichen endlich einmal sprachlos zu erleben. Genauso folgsam, wie Walther sie eben noch beschrieben hatte, knickste sie vor ihm und sagte: »Wie du es wünscht, mein Gemahl.«
Daraufhin verließ sie mit Johanna das Haus. Runa fühlte sich erschrocken und beflügelt zugleich. Ihr Herz klopfte wie wild, und ihr Atem ging schnell. Als sie Walther gestern von der Züchtigung Freyjas erzählt hatte, war er stumm geblieben. Sie hatte seinen Blick nicht deuten können und darum fast geglaubt, dass ihm diese Ungerechtigkeit gleichgültig war – doch sie hatte sich geirrt! Walther war es nicht gleichgültig gewesen, wie Vater Everard sich gebärdete. Er hatte sie eben verteidigt und sich gegen einen Mann der Kirche gestellt, um sie und seine Tochter zu schützen. Wie gerne wäre Runa in diesem Moment bei ihm geblieben, hätte ihre Arme um ihn geschlungen und ihm dafür gedankt. Sie wusste zwar, dass es nun noch schwerer werden würde, mit Vater Everard unter einem Dach zu leben, doch das war es Runa wert.
13
Die Reise nach Plön war beschwerlich. Je weiter die Männer nach Norden kamen, desto unwegsamer wurde der Boden unter ihren Füßen. Das Land Gerhards II. war durchzogen von Seen und Flüssen, die die Erde aufweichten und stechendes Ungeziefer anlockten. Nur selten bot sich ihnen ein festgestampfter Weg, auf dem ihre Rösser nicht einsanken.
Johannes vom Berge war derlei Unbequemlichkeiten nicht mehr gewohnt. Er reiste nur noch selten – und schon gar nicht tagelang zu Pferd durchs Moor. Seine Handelsreisen wurden immer häufiger von seinen zahlreichen Vertrauten ausgeführt, sodass er sich zumeist in der Stadt aufhielt und seine Zeit mit den Aufgaben verbrachte, die sein Amt als Ratsmann mit sich brachte. Auch wenn diese ehrenamtlichen Tätigkeiten ihm keinen Reichtum bescherten, bereiteten sie Johannes trotzdem weit mehr Freude als die beschwerlichen Reisen durch die Lande. Die heutige Reise jedoch konnte ihm niemand abnehmen.
Nachdem Heseke den ersten Teil des Plans mit Bodos Hilfe erfolgreich durchgeführt und Thiderich Schifkneht gefangen genommen hatte, war
Weitere Kostenlose Bücher