Tochter des Schweigens
das einem schmeichelte – sie war mehr als ein Ausgleich für die ironische Bosheit des Advokaten.
Ascolini machte eine Komödie aus seiner Kupplerrolle. Er sagte mit Herzlichkeit:
»Wir müssen ja für Ihre Unterhaltung sorgen, Landon. Ein Jammer, daß Sie nicht auf Brautschau sind. Sie wären die Sensation der Stadt.«
»Wird in Siena nicht auch für Junggesellen gesorgt?«
Ascolini gab die Frage lachend an Ninette Lachaise weiter: »Was würden Sie sagen, Ninette?«
»Ich würde sagen, daß die Junggesellen im allgemeinen für sich selber zu sorgen wissen.«
»Das ist ein Märchen«, sagte Landon heiter. »Die meisten Junggesellen kriegen, wonach ihnen der Sinn steht, und finden erst später heraus, daß es nicht das ist, was sie eigentlich wollten.«
»Wir haben auch unsere Märchen«, sagte Ascolini. »Unsere Jungfrauen sind tugendsam, unsere Ehefrauen zufrieden und unsere Witwen diskret – aber Liebe ist stets eine Lotterie. Man kauft ein Los und wartet auf das Glück.«
»Sei nicht gewöhnlich, Vater!« sagte Valeria.
»Liebe ist nun mal eine sehr gewöhnliche Sache«, sagte Doktor Ascolini. Ninette Lachaise hob ihr Glas zu einem Trinkspruch: »Auf Ihre Eroberung von Siena, Herr Landon.«
Er trank vorsichtig darauf. In ihren offenen braunen Augen war keine Koketterie, aber ein leises Lächeln spielte um ihre Mundwinkel. Verträgliche Frauen waren für ihn eine Seltenheit, und die intelligenten waren entweder langweilig oder häßlich. Er spielte mit dem Gedanken, daß er mit dieser hier mehr riskieren konnte, als er je bisher riskiert hatte. Mehr Vertrauen, mehr Intimität – und, vielleicht, sogar mehr Liebe. Er merkte, wie Ascolini ihn belustigt beobachtete, und fragte sich, ob der alte Mann wohl seine Gedanken erraten hatte. Dann trat Carlo ein, offenbar in bester Stimmung, um sich ein Glas einzugießen und an der Unterhaltung teilzunehmen.
Der Wechsel im Klima trat augenblicklich ein, war erschreckend und eigentlich schwer erfaßbar. Es war, als wäre die Hälfte der Lampen ausgeschaltet worden. Ascolini gab sich plötzlich wohlwollend, und Valeria nahm eine Aura von langweiliger Zärtlichkeit an. Die Unterhaltung verlor allen Witz und alle Schärfe; es war wie die Verschwörung im Interesse eines Leidenden – eine unbestimmte Euphorie, bestimmt für Menschen, die mit der Härte des Lebens nicht fertig werden.
Carlo selber schien das alles gar nicht zu bemerken, und Landon fragte sich, ob er nicht ein Opfer der Müdigkeit und des übertriebenen Mißtrauens geworden war, mit dem man einer neuen Lage gegenübertritt. Aber das Resultat war, daß er sich vom letzten Cocktail bis zur ersten Tasse Kaffee an keine einzige kluge Bemerkung erinnern konnte. Doch als der Brandy eingeschenkt war und der Diener sich zurückgezogen hatte, betrat Carlo Rienzi die Bühne, und alle Lichter gingen wieder an.
»Wenn unsere Gäste nichts dagegen haben, würde ich gern ein Ereignis bekanntgeben, das unsere Familie betrifft.« Valeria tauschte Blicke mit ihrem Vater, und sie hob ihre Schultern, als wollte sie ihre Unschuld beteuern. Carlo fuhr ruhig fort: »Ich habe es mit keinem von euch vorher besprochen, weil ich das Gefühl hatte, es sei meine eigene Angelegenheit. Jetzt, da die Entscheidung gefallen ist, hoffe ich auf eure Zustimmung. Wie ihr wißt, wurde ich heute ins Dorf gerufen. Der Bürgermeister ist von einem Mädchen ermordet worden, das früher im Dorf gelebt hat: Anna Albertini. Das Warum ist eine lange Geschichte, mit der ich euch jetzt nicht behelligen will. Das Ergebnis jedenfalls ist, daß Fra Bonifazio mich gebeten hat, die Verteidigung des Mädchens zu übernehmen. Ich habe mich dazu bereit erklärt.«
Ascolini und Valeria sahen ihn mit leeren Gesichtern an. Er machte eine kurze Pause und wandte sich dann sehr verbindlich an Ascolini:
»Ich habe eine lange Lehre bei einem großen Meister hinter mir. Jetzt ist es Zeit für mich, meinen eigenen Weg zu gehen. Ich möchte von nun an, maestro, auf meine eigenen Fälle warten, meine eigenen Klienten vertreten.« Er zog ein kleines Päckchen aus der Tasche und überreichte es Ascolini. »Vom Lehrling für den Meister, ein Geschenk, das meinen Dank zum Ausdruck bringen soll. Wünschen Sie mir Glück, dottore.«
Landon empfand Respekt für ihn und betete im stillen, sie möchten nett zu ihm sein, was immer auch sie alle zusammen gegen ihn haben mochten – er hatte sich verhalten wie ein Mann. Wartend stand Rienzi inmitten des Schweigens,
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