Tochter des Schweigens
Karriere. Und, so hoffe ich, die meine.«
Landon war verblüfft von dem kühlen Zynismus dieser Worte. Er konnte nicht glauben, daß das der sehnsüchtige Poet sein sollte, der ihm Chopin vorgespielt hatte, der gequälte Liebhaber, dessen Welt zusammengebrochen war. Er schien zu jung, um sich einem so düsteren Ehrgeiz zu ergeben. Doch konnte Landon nicht anders als ihm zustimmen. Er hatte es unternommen, Ascolini in seinem eigenen Feld zu schlagen; diesem engen Schlachtfeld, wo das Gesetz sich entweder als Instrument der Ordnung oder als Instrument der Gerechtigkeit erweisen muß.
Dennoch, wenn Landon sich schon dieser Freundschaft verschrieb, mußte er erfahren, inwieweit Rienzi wußte, worauf er sich einließ. Also fragte er ihn:
»Verstehst du auch, was du da sagst, Carlo? Du hast den Fall eines Klienten übernommen – daraus ergibt sich eine Hoffnung. Vielleicht keine große, aber doch wenigstens eine geringe. Und daraus wieder erwächst eine persönliche Beziehung, die weit über die rechtliche hinausreicht.«
»Nein, Peter!« Die Worte kamen schnell und bestimmt. »Es geht hier einzig und allein um eine rechtliche Beziehung. Ich kann keine moralischen Urteile über meine Klienten fällen. Ich kann mich hinsichtlich des Mädchens auf keinerlei Gefühle einlassen, im Gegenteil habe ich solche Gefühle in anderen zu erwecken, muß andere zu einem günstigen Urteil veranlassen und jede nur mögliche Lücke des Gesetzes, die zu ihren Gunsten etwa bestehen könnte, wahrnehmen. Ich bin weder Priester noch Arzt noch Wärter einer Nervenkranken.«
Falls er so präzise und beredt vor Gericht auftreten sollte, konnte man Großes von ihm erwarten, dachte Landon und fragte sich, wieviel davon wohl vom Schüler stammen mochte und wieviel vom Meister. Er fragte sich auch, ob es von Rienzi nicht ein ebenso großer Fehler war, sich zu früh mit der Resignation des Alters abzufinden, wie sich allzusehr jugendlicher Leidenschaftlichkeit zu überlassen. Doch war er nur Zuschauer, und Rienzi war der Schauspieler. Also sagte er nur obenhin: »Wie dem auch sei – wenn deine Mandantin wirklich so schön ist, wie du sagst, werdet ihr ein eindrucksvolles Paar sein vor Gericht.« Rienzis Gesicht umwölkte sich. Er sagte nachdenklich:
»Sie ist wie ein Kind, Peter. Sie ist vierundzwanzig, aber sie redet und denkt wie ein Kind – schlicht und unberechenbar. Ich möchte bezweifeln, daß sie mir oder sich selber eine große Hilfe sein wird.«
»Willst du auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren?«
Rienzi runzelte nachdenklich die Stirn.
»Ich bin da kein Experte, aber ich möchte bezweifeln, daß sie unzurechnungsfähig ist. Und darum brauche ich auch deinen Rat. Ich muß gestehen, ich würde mich eher auf mildernde Umstände stützen, die ich in San Stefano zu finden hoffe.«
»Solche Recherchen können recht kostspielig sein.«
»Fra Bonifazio hat sich anheischig gemacht, die Kosten der Verteidigung aufzubringen. Aber es sollte mich nicht wundern, wenn ich einen Teil aus eigener Tasche bezahlen müßte.«
»Du riskierst da allerhand, wie?«
»Das größte Risiko dabei ist Valeria«, sagte Rienzi ernst. »Aber damit habe ich mich abgefunden. Also ist der Rest nur noch eine Bagatelle.« Er streckte die Hand aus. »Wünsch mir Glück, Peter.«
»Alles Glück in der Welt, Carlo. Geh mit Gott!«
Rienzi warf ihm einen raschen, prüfenden Blick zu.
»Ich glaube, du meinst es wirklich.«
»Jawohl. Ich bin nicht gerade ein vorbildlicher Gläubiger, aber eines weiß ich: Wie tief du auch fallen magst, nie fällst du aus Gottes Hand. Daran solltest du immer denken.«
»Ich weiß«, sagte Rienzi düster. »Heute abend werde ich es wahrscheinlich am nötigsten haben.«
Er ging, und Landon empfand ein seltsam bohrendes Mitleid für ihn. Er hatte Schwerter im Rücken und eine Schlacht vor Augen, doch konnte Landon die unangenehme Überzeugung nicht loswerden, daß er mit falschen Waffen und für die falsche Sache kämpfte – und daß ein Sieg für Carlo Rienzi sich als allerraffinierteste Niederlage erweisen könnte.
Ascolinis Dinnerparty begann mit Cocktails in der Bibliothek. Für Landon bedeutete der neue Gast eine angenehme Überraschung. Er fand sie hübsch, unterhaltsam und angenehm weiblich. Sie hatte nichts von der einstudierten Schlaffheit ihrer italienischen Schwestern, nichts von deren verwirrender Koketterie, die viel versprach und zumeist so wenig hielt. Sie sagte gescheite Dinge und konnte mit Interesse zuhören,
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