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Tochter des Schweigens

Titel: Tochter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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einen Vertrag einzuhalten, Carlo. Selbst wenn du alles dazu tust, was du tun kannst – da ist immer noch Valeria. Du solltest wenigstens darauf vorbereitet sein, daß sie nicht bereit ist, ihren Teil dazu beizutragen.«
    Carlo zuckte die Schultern und sagte mit einer Art trauriger Selbstverachtung:
    »Was habe ich schon zu verlieren, Peter?«
    »Hoffnung.«
    Rienzi starrte ihn lange an, dann nickte er düster.
    »Das ist das schlimmste, Peter. Du darfst nicht verlangen, daß ich dem jetzt schon ins Auge sehe. – Jetzt frühstücke erst mal und laß uns sehen, was die Zeitungen über meine Mandantin zu sagen haben.«
    Der Affäre von San Stefano hatten alle Morgenzeitungen Schlagzeilen gewidmet. Die Berichte waren düster und voller sadistischer Einzelheiten. Die Fotos bewegten sich zwischen einem gräßlichen Bild des Toten auf der Bahre bis zu einem Schnappschuß von Anna Albertini, wie sie mit hochgerutschtem Rock in einen Polizeiwagen verfrachtet wurde.
    Den Hintergrund der Tat beschrieb die ›offizielle‹ Version. Nachdem sämtliche Einzelheiten aus der Vergangenheit mit epischer Breite ausgewalzt und die Person der vierundzwanzigjährigen ›Mörderin von satanischem Charme‹ bis in alle Einzelheiten beschrieben waren, schilderten die Zeitungen den Ablauf des Mordtages.
    Am Morgen hatte Anna Albertini für ihren Mann, den Nachtwächter einer Textilfabrik ; das Frühstück bereitet, worauf er sich schlafen gelegt hatte. Sie hatte seinen Revolver eingesteckt und war mit einem Frühzug von Florenz nach Siena gefahren, wo sie kurz vor Mittag eintraf. Vom Bahnhof war sie mit einem Taxi nach San Stefano gefahren, um Belloni zu erschießen. Das Motiv des Verbrechens lag auf der Hand: Vendetta. Rache für den Tod ihrer Mutter an dem Mann, der dem Standgericht, das sie damals zum Tode verurteilte, vorgestanden hatte.
    Die Zeitungen spielten dieses Motiv hoch, und ein führendes Blatt verdammte in seinem Leitartikel scharf ›jegliches Wiederaufleben dieses alten unheilvollen Brauchs‹ und forderte ›seitens der Polizei und der Justiz äußerste Wachsamkeit gegen jede falsche Sentimentalität gegenüber der Barbarei der Blutfehde, die so viele Seiten unserer Geschichte beschmutzt hat‹.
    Landon schien diese Forderung nur zu berechtigt. Es war ein blutiger, aufrührerischer, unheilvoller Kult, der nicht einmal im Dschungel Parallelen hatte. Überall, wo er befolgt wurde, lebten ganze Gemeinden am Rande des Abgrundes in Furcht und Schrecken. In dieser Sache waren alle seine Sympathien auf Seiten der Engel, und was Carlo Rienzi auch tun mochte, sie würden es ihm vor Gericht verdammt schwer machen.
    »Wenn ich dir helfen soll«, sagte Landon sachlich, »brauche ich außer Zeit eine gewisse Freizügigkeit und Bewegungsfreiheit. Die mußt du mir verschaffen.«
    »Ich muß mit Galuzzi darüber sprechen. Er ist psychiatrischer Sachverständiger des Justizministeriums. Wenn er einverstanden ist, werden wir keinerlei Schwierigkeiten mit der Gefängnisverwaltung haben. Es mag eine Weile dauern, bis ich ihn erreiche, aber ich werde eine Unterredung so bald wie möglich vereinbaren. Ich habe dir in Siena ein Zimmer gemietet, und ich werde dir dahin Nachricht geben. Du hast gesagt, du wolltest mit Ascolini reden, wegen unserer Zusammenarbeit?«
    »Das werde ich mir jetzt schenken. Ich glaube nicht, daß es noch wichtig ist.«
    »Gut«, sagte Carlo. »Laß uns deine Koffer holen und fahren.«
    Das Zimmer, das Rienzi für Landon in Siena gemietet hatte, lag in einer erstaunlichen Pension mit den Wappen der Salimbeni über dem Portal, riesigen Räumen mit kassettierten Decken und einem Brunnen aus dem dreizehnten Jahrhundert im Innenhof. Ehe sie auseinandergingen, erklärte Carlo, die Miete sei für eine Woche bezahlt. Und als Landon ob soviel Großzügigkeit verlegen wurde, lachte Rienzi:
    »Nenn es eine Bestechung, Peter! Ich brauche dich hier. Morgen früh halb zehn hole ich dich ab. Halt die Ohren steif bis dahin.« Landon war froh, als Rienzi weg war. Er brauchte Zeit und wollte allein sein, um seine Depression zu überwinden. Es war noch früh am Tage, und er beschloß, einen Rundgang durch die Stadt zu machen. Ihre Verehrer hatten sie vor langer Zeit die ›Heimat der Seelen‹ getauft. Er hoffte, sie würde seiner eigenen Seele guttun, die sich augenblicklich in einem recht beklagenswerten Zustand befand.
    Aber die Stadt machte ihn nur noch trauriger. Es gibt eine Krankheit, die viele Leute auf Reisen befällt: Die

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