Tochter des Schweigens
Valeria?«
»Eine Frau. Eine selbständige Frau.«
»Nicht Carlos?«
»Irgend jemandes, der mir die Persönlichkeit zurückgeben kann, die mein Vater mir genommen hat.«
»Kann Carlo das nicht?«
Zum ersten Male hörte er sie lachen – aber ohne Herzlichkeit, nur voller Ironie und Traurigkeit.
»Sie haben viel für Carlo übrig, nicht wahr, Peter? Er ist ein Junge. Ein leidenschaftlicher Junge. Aber wenn Sie ein halbes Leben mit einem Mann gelebt haben, dann ist das bei weitem nicht genug.«
»Gestern abend hat er ausgesprochen wie ein Mann ausgesehen.«
»Sie sind nicht mit ihm schlafen gegangen«, sagte Valeria Rienzi.
Er kaute noch an dem Brocken, als sie ihm schon einen zweiten vorwarf: »Was verschreiben Sie, Doktor – wenn eine Frau geküßt und geliebt werden möchte und nichts anderes geboten bekommt als Pralinen zum Frühstück?«
Und weil er so in seiner Männlichkeit herausgefordert war und überdies genug davon hatte, den weisen Uhu zu spielen, während alle anderen in den Büschen Küß-mich spielten, nahm er sie in die Arme und küßte sie.
»Wie reizend!« sagte Doktor Ascolini trocken, doch gutgelaunt. »Wie sehr, sehr reizend – wenn auch ein bißchen unbedacht.«
Landon fuhr zurück und sah den alten Mann strahlend auf dem Weg stehen.
»Ich muß das natürlich aus prinzipiellen Gründen verurteilen, doch unter den gegebenen Umständen finde ich es eine durchaus empfehlenswerte Abwechslung für euch beide.«
»Oh – gehen Sie doch zum Teufel!«
Bleich vor Zorn und dem Gefühl der Erniedrigung drängte Landon sich an ihm vorbei und eilte davon. Ascolinis Gelächter folgte ihm wie das Gelächter eines Kindes, das von den Spaßen eines Clowns entzückt ist.
3
Auf der Terrasse war das Frühstück schon gedeckt, und Carlo Rienzi studierte bei Kaffee und einem Steak die Morgenzeitungen. Er begrüßte Landon mit feierlicher Höflichkeit, reichte ihm eine Tasse und einen Teller mit warmem Landbrot und sagte ruhig:
»Ich habe gesehen, was geschehen ist, Peter. Es war fast, als hätte das Schicksal es so gewollt.« Er deutete in den Garten hinunter, wo Ascolini und seine Tochter durch eine Lücke im Gebüsch deutlich zu sehen waren. »Vielleicht verstehst du jetzt, wovor ich fliehen muß.«
Landon wurde bei dieser neuen Erniedrigung rot. Er sagte unbeholfen:
»Es war mein Fehler. Es tut mir leid.«
Rienzi winkte ab:
»Warum solltest du dir Vorwürfe machen? Ist schon oft genug passiert. Und wird nicht das letztemal gewesen sein.«
Landon empfand plötzlich einen ungerechten Zorn gegen ihn.
»Warum bist du dann so verdammt selbstgefällig und zufrieden damit? Warum haust du mir nicht eine 'runter? Wenn meine Frau mich betrügen würde, würde ich ihr den Hals umdrehen oder mich scheiden lassen.«
»Aber sie ist nicht deine Frau, Peter«, sagte Rienzi matt, »sie ist meine. Und ich bin halb und halb verantwortlich für das, was sie ist. Du kennst sie nur ein paar Tage – ich habe jahrelang mit ihr zusammengelebt. Du beurteilst sie wie jede andere Frau, die über die Stränge schlägt. Aber bei ihr ist das eine Art kindlicher Trotz, den ihr Vater in seinem eigenen Interesse ermutigt. Ihm gegenüber ist sie niemals trotzig, obwohl sie oft mit ihm böse ist. Das Autoritätsverhältnis zwischen den beiden ist so, wie es zwischen Eheleuten üblich sein sollte. Valeria erkennt einfach keine anderen Ansprüche oder Verpflichtungen an. Die Welt und all ihre Kreaturen sind lediglich zum Nutzen der Familie Ascolini geschaffen.«
»Und glaubst du, du kannst das ändern?«
»Ich weiß, daß ich es versuchen muß.«
»Ich wünsche dir viel Glück dazu.«
Rienzi schüttelte lächelnd den Kopf.
»Peter, mein Freund, spiel nicht den Zyniker. Ich weiß genau, was du empfindest. Das hier ist eine Ehe – keine sehr zufriedenstellende, aber es ist nun mal ein Vertrag, der uns bis an unser Lebensende aneinanderkettet, und ich muß versuchen, das Beste daraus zu machen. Am Anfang habe ich einen schweren Fehler begangen. Meine Liebe war zu groß und meine Klugheit zu klein. Jetzt bin ich klüger und empfinde, glaube ich, noch genügend Liebe. Du darfst mich nicht verachten, weil ich versuche, etwas Gutes zu tun, und du darfst Valeria nicht verachten, weil niemals sie jemand gelehrt hat, was gut ist.«
Diese Worte und die Situation, die Rienzi mit Würde meisterte, beschämten Landon mehr, als er zugeben wollte. Dennoch fühlte er sich zu einer Warnung verpflichtet.
»Es gehören zwei dazu,
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