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Tochter des Schweigens

Titel: Tochter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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verläßt sich mehr auf dich, als gut für ihn ist, und Ascolini hat mehr Achtung vor dir, als du ahnst.«
    Ehe er widersprechen konnte, fuhr sie fort: »Außerdem denke ich, daß dich das alles viel mehr bewegt, als du zugeben möchtest. Du gefällst dir in der Rolle des Misanthropen, aber die Maske verlierst du manchmal, weil sie nicht richtig paßt. Darunter bist du ein weichherziger Mensch, der allzuleicht durch Bosheit und Mißtrauen verletzt wird. Du brichst zu schnell den Stab über die Menschen. Du malst alles schwarz oder weiß, ohne jeden Halbton.«
    »Du meinst Ascolini?«
    »Ich meine alle. Aber Ascolini in erster Linie, wenn du so willst.«
    Am Tisch des alten Herrn brach schallendes Gelächter aus, und Landon sah, wie er einem jungen Mann, der wohl den Anlaß dazu gegeben hatte, auf die Schulter klopfte. Er sah, wie er den Kellner heranwinkte, eine neue Flasche Wein bestellte und sich aufmerksam vorbeugte, um die Frage eines anderen Studenten zu vernehmen.
    »Wie erklärst du das, Peter?« sagte Ninette Lachaise. »Was führt ihn her?«
    »Du hast es ja selber gesagt. Der alte Meister nimmt die Huldigungen der Jungen entgegen.«
    »Ist das alles, chéri? Keine Freundlichkeiten? Keine Furcht? Keine Einsamkeit?«
    Landon ergab sich.
    »Na schön, Ninette. Du gewinnst. Meinetwegen soll der Teufel ein sanftes Herz haben.«
    »Hat er es dir gezeigt, Peter? Oder hast du es nur mit den Augen eines anderen gesehen?«
    Er sagte lächelnd:
    »Du bist der Künstler. Deine Augen sind schärfer als meine. Vielleicht solltest du es für mich sehen.«
    »Ich kenne ihn, Peter«, sagte sie ruhig. »Ich kenne ihn schon lange. Er kauft meine Bilder und kommt oft zum Kaffee zu mir, um sich mit mir zu unterhalten.«
    Ohne rechten Grund fühlte Landon so etwas wie Eifersucht, daß dieser boshafte alte Komödiant sich Ninettes Gastfreundschaft erfreuen durfte. Aber Siena war eine kleine Stadt, und Ascolini hatte größere Anrechte als er. Er zuckte die Schultern und sagte: »Ich weiß, er hat eine Menge Charme.«
    Ninette Lachaise goß sein Glas voll und reichte es ihm lachend.
    »Trink deinen Wein, chéri. Heute wirst du mich nach Haus bringen und nicht der ehrwürdige Doktor. Aber im Ernst! Es ist schon eine Tragödie – er hat eine Tochter, die ihn enttäuscht, und einen Schwiegersohn, der ihm grollt.«
    Jetzt war es an Landon, zu lachen.
    »Valeria soll ihn enttäuschen? Worüber hat er sich da zu beklagen? Er selber hat sie ja zu seinem Ebenbild gemacht.«
    »Selbstporträts sind nicht immer die größten Kunstwerke, Peter.« Ihre Augen forderten ihn heraus, halb im Scherz, halb im Ernst. »Wir alle lieben uns selber, Peter. Aber wir sind nicht immer zufrieden mit dem, was wir im Spiegel sehen. Oder bist du's?«
    Er kapitulierte, so elegant er konnte. Er nahm ihre Hände, küßte sie und sagte:
    »Du gewinnst, Ninette. Du bist ein besserer Advokat als Ascolini.«
    »Würdest du mir einen Gefallen tun?«
    »Welchen?«
    »Laß mich Ascolini auf ein Glas an unseren Tisch bitten.«
    Es wäre ungezogen gewesen, abzulehnen. Außerdem waren ein paar verlegene Minuten ein bescheidener Preis für ihre Gesellschaft. Sie warf ihm ein schnelles dankbares Lächeln zu und ging, durch ein erneutes anerkennendes Pfeifkonzert, durch den Raum. Ascolini begrüßte sie mit überschwenglicher Höflichkeit und kam nach ein paar Worten mit ihr an Landons Tisch. Er streckte ihm die Hand entgegen und sagte voller Ironie:
    »Sie sind in besserer Gesellschaft als ich, mein Freund. Ich freue mich darüber.«
    »Wir haben vieles gemeinsam«, sagte Ninette Lachaise.
    »Sie sind ein beneidenswerter Bursche, Landon. Wäre ich zwanzig Jahre jünger, würde ich sie Ihnen wegnehmen.« Er seufzte theatralisch und setzte sich. »Ah, Jugend! Jugend! Eine flüchtige Zeit – wir lernen sie erst schätzen, wenn wir sie verloren haben. Jeder einzelne von diesen Jungen da möchte gern so weise sein wie ich. Wie kann ich ihnen sagen, daß ich nichts weiter will, als so rüstig zu sein wie sie?«
    Landon goß ein Glas für ihn ein und trank einen Toast auf Ninette. Sie redeten eine Weile hin und her, und dann, plötzlich, sagte Ascolini:
    »Ich bitte selten um Entschuldigung, Landon. Aber ich schulde Ihnen diese. Es tut mir furchtbar leid, was in meinem Haus passiert ist.«
    »Ich hab's schon vergessen. Ich wünschte, Sie würden es auch vergessen.«
    Ascolini runzelte die Stirn und schüttelte seine weiße Mähne.
    »Sie dürfen nicht zuviel versprechen, mein

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