Tochter des Schweigens
aufgeht.«
»Aber irgend jemand muß doch Pläne für das Morgen schmieden. Das Leben ist nun einmal nicht einfach eine Reihe von Zufällen oder ein Schauspiel, von einem allmächtigen Schicksal gespielt.«
»Dann mußt du für uns beide planen, Peter. Ich kann nur versuchen, uns von einer Stunde auf die andere glücklich zu erhalten.« Sie stand auf. »Komm jetzt. Ich muß dir noch so viel zeigen vor Sonnenuntergang.«
Die nächsten zwei Stunden durchstreiften sie die winzige Stadt. Jeder Schritt führte sie zurück in die an Gewalttaten reiche Geschichte der Provinz. Im zwölften Jahrhundert hatten die Bürger den Tyrannen Volterra verjagt. Im vierzehnten hatte die Stadt sich Florenz ergeben, ausgeblutet durch die Medici-Bankiers und durch die Fehden innerhalb der eigenen Mauern. Benozzo Gozzoli malte hier, und Folgore, der Dichtersohn, wurde zusammen mit elf großen Verschwendern aus Siena von hier in Dantes Hölle verdammt. Wenn ein Turm einstürzte, wurde ein neuer gebaut, ausgerüstet mit Pfeilen und Schleudern und allem erdenklichen Kriegsgerät. Niccolò Macchiavelli exerzierte vor den Mauern mit seinen Truppen, und Dante führte eine Abordnung zum Rat der Guelfen. Äußerlich hatte sich der Ort im Lauf der Jahrhunderte kaum verändert, und als die Schatten länger wurden, erwartete man fast, den Tritt der Landsknechte und das Hufgeklapper Berittener zu hören, während Handelsleute und Ritter und wandernde Ordensbrüder sich vor Sonnenuntergang durch das Stadttor drängten.
Am Ende ihres Rundgangs waren sie heiß, staubbedeckt und durstig, und Ninette schlug vor, an einem kleinen Restaurant an der Straße nach Siena zu halten. Sie parkten den Wagen davor, und als sie den schattigen Innenhof betraten, sahen sie, ein paar Sekunden zu spät, an einem der kleinen Marmortische Valeria Rienzi mit einem Mann sitzen. Landon sah Ninette rot werden und sich gerade aufrichten. Im gleichen Augenblick jedoch winkte Valeria sie schon an ihren Tisch. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als der Aufforderung Folge zu leisten. Valeria stellte ihren Begleiter vor.
»Peter, das ist Basilio Lazzaro. Basilio, das ist Peter Landon. Ninette kennst du selbstverständlich, Basilio?«
»Natürlich, wir sind alte Freunde«, sagte Lazzaro glatt. »Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen, Herr Landon.«
Ninette sagte nichts. Valeria beobachtete sie amüsiert, während Lazzaro und Landon einander musterten und sofort zu dem Schluß gelangten, sich nicht leiden zu können. Nach einer kleinen steifen Pause sagte Valeria:
»Ich habe versucht, dich heute früh anzurufen, Peter. Ich wollte dich morgen gern treffen.«
»Ich bin fast den ganzen Tag fort gewesen«, sagte Landon unbeholfen. »Und ich weiß noch nicht genau, wie es morgen wird.«
»Darf ich dich dann anrufen? Es ist ziemlich wichtig.«
Es blieb ihm nichts anderes übrig, als einzuwilligen. Daraufhin zogen er und Ninette sich so schnell wie möglich zurück. Sie tranken ihre Gläser schweigend aus und gingen rasch zum Wagen. Nach einer Weile sagte Ninette gereizt:
»Ich habe es dir doch gesagt, Peter, nicht wahr? Sie interessiert sich für dich, und sie wird dich ohne Kampf nicht aufgeben.«
»Mir kam dagegen vor«, sagte Landon beißend, »als interessiere sich dieser Basilio – wie heißt er doch – für dich.«
Damit endete die Unterhaltung. Ein leichter kühler Windstoß fuhr über das Land. Bei all ihrer Liebe fanden sie doch während der ganzen Fahrt bis Siena kein Wort der Versöhnung. Düster und in sich gekehrt saßen sie nebeneinander, während die graue Dämmerung sich auf Olivenhaine und Zypressen senkte.
In jeder Liebe, wie heftig sie auch sein mag, gibt es Augenblicke, in denen plötzlich das Gemeinsame auseinanderfällt und Mann und Frau in die Einsamkeit zurückgestoßen werden, die sie ursprünglich zueinander geführt hat. Die Vorstellung, die jeder vom andern hat, ist zu vollkommen, das gegenseitige Verhältnis zu empfindlich, um auch nur die kleinste Enttäuschung zu vertragen. Liebe und Ergebenheit erscheinen so rein, daß niemand etwa vorhandene Vorbehalte eingestehen kann. Sie sind so zart zueinander, daß sie sich Unduldsamkeit gar nicht vorstellen können. Eine kleine Verstimmung aber führt blitzschnell zum Streit. Die Folge ist Zorn, Trennung und Flucht in die Einsamkeit, die schließlich unerträglich wird und sie wieder zueinanderführt, mehr als zuvor auf den anderen angewiesen.
Das ist die wahre Gestalt der Liebe: einfach und
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