Tochter des Schweigens
dachte einen Augenblick nach, dann sagte er sachlich:
»Zum Teil aus Sympathie. Ich habe Carlo gern, und ich denke, er hat etwas Besseres verdient. Zum Teil auch aus Ehrgeiz. Sie wissen, ich suche nach einem Thema, dessen Aspekte interessant genug sind, daß ich mit einer Arbeit darüber nach London zurückkehren kann. Dieser Fall mag genau das Richtige sein. Mehr als das.« Er legte die Handflächen auf den Tisch und blickte konzentriert vor sich hin. »Im gewissen Sinne befinde auch ich mich in einer Krise – einer Krise, die Sie, glaube ich, verstehen werden. Ich bin zu lange allein und auf mich selber angewiesen. Meine Verstrickung in Ihre Angelegenheit ist, glaube ich, zum Teil auf ein unterbewußtes Streben nach Gesellschaft und Wettbewerb zurückzuführen.«
Ascolini nickte zustimmend.
»Ich weiß Ihre Offenheit zu schätzen, Landon. Lassen Sie mich noch etwas fragen. Wie sehen Sie mich?«
»Mit ausgesprochener Hochachtung.«
»Danke. Ich glaube, Sie meinen es ehrlich.« Er wartete den Bruchteil einer Sekunde, dann fragte er listig: »Und wie sehen Sie Valeria?«
Wieder spürte Landon Zorn in sich hochsteigen, doch er unterdrückte ihn und sagte: »Sie ist eine attraktive Frau und hat ihre eigenen Probleme.«
»Glauben Sie, Sie können diese Probleme lösen?«
»Nein.«
»Glauben Sie, Valeria könnte für Sie zum Problem werden?«
»Jede Frau kann für jeden Mann zum Problem werden.«
Landon blickte verlegen in sein Weinglas. Ascolini runzelte die Stirn und begann wieder, mit der Gabel auf das Tischtuch zu zeichnen. Nach ein paar Augenblicken sah er auf.
»So seltsam das klingen mag, Landon, zu einer anderen Zeit hätte ich nichts gegen eine Verbindung zwischen Ihnen und Valeria einzuwenden gehabt. Ich glaube, Sie sind genau die Art Mann, die sie braucht. Doch jetzt würde ich aus den Gründen, die ich Ihnen erklärt habe, Einspruch dagegen erheben.«
»Ich auch«, sagte Landon obenhin. »Ich habe woanders Hoffnungen.«
Der alte Herr strahlte.
»Ninette Lachaise?«
»Ja.«
»Ich freue mich, das zu hören«, sagte Ascolini befriedigt. »Ich habe viel für Ninette übrig. Ich würde viel darum geben, sie glücklich zu sehen. Nur aus diesem Grunde sage ich: Seien Sie Ihrer selbst ganz sicher – und versuchen Sie nicht, Ninette zu überfahren. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld, Herr Landon, und für Ihre Gesellschaft.«
Trotz Ascolinis ausgesuchter Höflichkeit verließ Landon das Restaurant noch immer zornig und grollend. Wenn Ninette nicht gewesen wäre, hätte er sie alle zum Teufel gewünscht und den nächsten Zug nach Rom genommen. Ihre Intrigen hatte er gründlich satt. Er haßte sie von ganzem Herzen dafür, daß sie seine Freundschaft erschlichen hatten und nun ihre gegenseitige Schuld vor seiner Tür abluden.
Er war genau in der Situation, die er sein Leben lang ängstlich zu meiden getrachtet hatte. Ein Mann hatte genug zu tun, mit seinen eigenen Problemen fertig zu werden, ohne auch noch Richter und Kindermädchen für andere zu spielen. Aber erwischt zu werden wie ein grüner Junge mit seiner ersten Witwe – das war zuviel. Er beschloß, hier und jetzt mit ihnen zu brechen, und machte sich, um seine Wut abzukühlen, zu Fuß auf den Weg zu Ninettes Atelier.
Sowie er sie wieder in den Armen hielt, wußte er mit absoluter Sicherheit, daß er sie liebte. Alles, was er sich je von einer Frau erträumt hatte, schien in Ninette Wirklichkeit geworden zu sein: Einfachheit, Leidenschaft, Mut. Die Tricks, mit denen andere Frauen Zärtlichkeit herausforderten, ohne sie zu erwidern, waren ihr fremd. Was sie hatte, gab sie – ohne wucherische Zahlungsforderungen. Sie sah die Welt mit den Augen einer Künstlerin, heiter, dankbar, voller Mitgefühl. Zum ersten Male in seinem Leben verließ ihn die Vorsicht des Junggesellen, und er sagte ihr die Wahrheit: »Ich mußte einfach herkommen. Ich mußte es dir sagen. Ich liebe dich, Ninette.«
»Ich liebe dich auch, Peter.« Sie schmiegte sich einen Augenblick an ihn, dann wandte sie sich ab, ging zum Fenster und blickte über die Dächer der alten Stadt. »Nun, nachdem es gesagt ist, Peter, laß uns eine Weile damit leben. Laß uns keine Verträge schließen, laß uns einfach warten und mit dem glücklich sein, was wir haben. Wenn es wächst, ist es gut für uns beide. Wenn es stirbt, wird es uns nicht allzu weh tun.«
»Ich will, daß es wächst, Ninette.«
»Ich auch. Aber wir haben beide schon früher Ähnliches gesagt. Und es war nicht von
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