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Tochter des Schweigens

Titel: Tochter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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Dauer.«
    »Ich weiß, es wird nicht sterben. Nicht in mir.«
    »Dann höre nicht auf, es zu sagen, chéri. Immerzu. Bis du im tiefsten Grunde deines Herzens glaubst, es ist wahr.«
    »Und du?«
    »Ich werde dasselbe tun.«
    Sie standen dicht beieinander am Fenster und genossen den Zauber des ersten Geständnisses, sahen das Licht golden und zart vom toskanischen Himmel fließen. Dann nötigte sie ihn in einen Sessel, legte ihren Malerkittel ab und machte sich geschäftig ans Kaffeekochen. Er erzählte ihr von seinem Mittagessen mit Ascolini und seinem Ärger mit Rienzi und auch von seinem Entschluß, sich so bald wie nur irgend möglich aus der ganzen schäbigen Geschichte zurückzuziehen. Sie hörte ihm schweigend zu. Dann setzte sie sich, nahm seine Hände zwischen die ihren und sagte in ihrer offenen Art:
    »Ich weiß genau, wie du das empfindest, Peter. Ich mache dir keinen Vorwurf. Sie sind einfach nicht deine Leute – genausowenig wie meine. Weder du noch ich könnten so wie sie leben. Sie haben an alten Geschichten zu tragen, und das ist uns fremd. Und doch brauchen sie uns auf eine seltsame Weise – dich viel mehr als mich.«
    »Wie kannst du das sagen, Ninette.«
    »Weil ich dich fast genauso nötig brauche, wie sie dich brauchen. Ich weiß, du bist unzufrieden mit dir. Aber für uns bist du der neue Mann aus der Neuen Welt, der lebendige Beweis, daß es möglich ist, ohne Vergangenheit zu leben. Es ist ein Symbol, verstehst du, das für diese Leute und für viele andere die einzige Lösung bedeutet. Irgend jemand muß sagen: ›Es tut mir leid‹, und einen neuen Anfang machen. Sonst korrumpiert die alte Geschichte die neue, und am Ende gibt es überhaupt keine Hoffnung mehr –«, sie zögerte und brach ab, als suchte sie nach Worten, um einem beunruhigenden Gedanken Ausdruck verleihen zu können, »– es ist wie mit uns, verstehst du. Wir haben beide andere Menschen geliebt und gehaßt, aber wenn wir in der Vergangenheit weiterleben, gibt es für keinen von uns eine Hoffnung. Wir müssen erkennen, daß die Gegenwart wichtig ist und das Morgen stets ein Fragezeichen. Ich liebe dich, weil du das kannst. Rienzi und Ascolini brauchen dich aus dem gleichen Grund. Du kannst es dir leisten, großzügig mit ihnen zu sein.«
    Landon schüttelte den Kopf. Er war von einem vagen Schuldgefühl beunruhigt, über das er nicht einmal jetzt zu ihr sprechen konnte. »Überschätze mich nicht, Liebes. Es gibt Zeiten, wo ich mich sehr leer fühle.«
    »Du gibst mehr, als du weißt, chéri. Deswegen bist du mir so lieb.«
    Unversehens erfüllte ihn eine Überlegung, die er vor sich selber versteckt gehalten hatte.
    »Ich habe Angst vor diesen Menschen, Ninette. Ich kann dir auch nicht sagen, warum. Aber sie erschrecken mich mit ihrer Fähigkeit zur Bosheit. Sie wissen genau, was sie tun. Sie gestehen es. Und etwas von der Scham färbt ab. Es ist, als hörte man einem Mann zu, der Obszönitäten über seine Frau erzählt.« Er lachte kurz auf. »Ich sollte daran gewöhnt sein. Ich kriege es täglich von meinen Patienten zu hören. Aber hier bin ich nicht so gut gewappnet.«
    »Ich weiß«, sagte Ninette leise. »Ich bin schon länger hier als du. Sie quälen sich selber, weil sie nicht wissen, wie man liebt. Aber wir wissen es, und also können sie uns nicht verletzen – und wir können ihnen vielleicht helfen.«
    »Und willst du das wirklich?«
    »Ich bin so reich, Peter – so reich in diesem Augenblick. Ich möchte gern dem Rest der Welt etwas davon abgeben.«
    Er nahm sie in die Arme und küßte sie. Der Kaffeetopf kochte über, und sie waren glücklich in der schlichten, törichten Freude, am Leben zu sein.
    Am Nachmittag fuhren sie in Ninettes verbeultem Citroën nach San Gimignano – der Stadt der wunderbaren Türme, die fast unverändert und unvergrößert ihren mittelalterlichen Charakter in das zwanzigste Jahrhundert gerettet hatte.
    Das Land lag still unter den langen Schatten der Zypressen und Olivenbäume; braun, wo die Pflugschar es aufgeworfen hatte, grau unter den überhängenden Reben, grün, wo verborgene Quellen das junge Gras bewässerten. Das Licht war sanft, die Luft still und warm vom Atem eines Landes, das noch lebte und noch fruchtbar war nach so vielen hungrigen Jahrhunderten. Die Bauern arbeiteten nach der Mittagsruhe auf den Terrassen der Weinberge und auf den Gemüsefeldern – Männer, Frauen und Kinder gebückt über Rechen und Hacke. Die Friedlichkeit des Bildes berührte Landon,

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