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Tochter des Schweigens

Titel: Tochter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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Entschuldigung, Herr Präsident.«
    Der Präsident nickte voller Mitgefühl.
    »Das Gericht ist sich bewußt, daß der Verteidiger sich in einem Zustand großer Erregung befindet. Aber es ist üblich, dem Angeklagten nach den Plädoyers Gelegenheit zu einem letzten Wort zu geben.«
    Rienzi sah zu Anna Albertini hinüber und schüttelte dann den Kopf.
    »Wir verzichten darauf, Herr Präsident. Unserer Verteidigung ist nichts mehr hinzuzufügen.«
    »Dann zieht sich das Gericht zur Beratung zurück.«
    Er hatte sich kaum erhoben, als aus dem Hintergrund des Zuschauerraumes eine hysterische Frauenstimme schrie:
    »Laßt sie gehen! Hat sie nicht genug gelitten? Laßt sie frei!«
    Ein paar Beamte stürzten auf die Frau los, doch da geschah schon das Überraschende – das Publikum hatte den Schrei aufgenommen und brüllte: »Laßt sie frei! – Laßt sie frei!« Es war ein Schrei, der aus der Ohnmacht geboren war und der Mitleid und Beschämung verriet.
    In dem allgemeinen Tumult, der sich entwickelte, zogen sich die Richter hastig zurück. Anna wurde schleunigst in ihre Zelle geführt, und Ascolini drängte Ninette und Landon hinter die Absperrung, wo sie zusammen mit Rienzi und seinen Kollegen standen und zusahen, wie die Polizisten die Menschen unsanft auf die Straße drängten, während das Gebrüll: »Laßt sie frei! Laßt sie frei!« immer lauter und fordernder wurde.
    Die Türen schlugen zu. Einen Augenblick lang sagte niemand ein Wort, dann legte der alte Ascolini impulsiv seine Arme um Carlo und drückte ihn mit südlicher Lebhaftigkeit an sich.
    »Wundervoll, mein Junge, wundervoll! Ich bin stolz auf dich! Du wirst noch Großes vollbringen, aber ein Augenblick wie dieser wird vielleicht in zwanzig Jahren nicht wiederkehren! Sieh ihn an, Valeria! Sieh den Mann an, den du geheiratet hast! Bist du nicht stolz auf ihn?«
    »Sehr stolz, Vater.« Mit dem geübten Charme der Schauspielerin umarmte sie Carlo und drückte ihm einen leichten Kuß auf die Wange. Landon stand nahe genug, um zu hören, wie sie sagte: »Du hast gewonnen, Carlo! Ich werde nicht mehr kämpfen, das verspreche ich.«
    Eine unendliche Müdigkeit lag in seiner geflüsterten Antwort: »Hat es dessen bedurft, Valeria? War das alles nötig?«
    Dann küßte er sie flüchtig auf die Wange und trat mit einem müden Lächeln vor, um die Gratulationen entgegenzunehmen. Der Staatsanwalt hatte seine Unterlagen zusammengepackt und kam mit beiläufiger Liebenswürdigkeit herübergeschlendert.
    »Mein Kompliment, Rienzi! Die beste Behandlung eines aussichtslosen Falles, die ich seit langem erlebt habe.« Er wandte sich lächelnd an Ascolini. »Ein Starschüler, wie, dottore? Wir alten Füchse werden neue Tricks erlernen müssen, um mit dem da fertig zu werden.«
    Rienzi wurde rot und murmelte:
    »Nett von Ihnen, das zu sagen.«
    »Durchaus nicht, mein lieber Freund. Sie haben es verdient. Und der Fall wird Ihnen viel nützen. Die Presse wird eine Bombenreklame für sie sein. Der Präsident ist sonst auch nicht gerade ein Mann, der mit Komplimenten um sich zu werfen pflegt. In ein, zwei Wochen werden Sie mehr Fälle haben, als Sie bewältigen können.«
    Rienzi lächelte verlegen.
    »Noch kennen wir ja das Urteil nicht.«
    »Unsinn, mein Lieber.« Der Staatsanwalt klopfte ihm lächelnd auf die Schulter. »Das Urteil ist ganz unwichtig. Auf Ihre Leistung kommt es an. Und da haben Sie ein aufsehenerregendes Debüt hinter sich.«
    Als er gegangen war, knurrte Ascolini gereizt:
    »Der Kerl ist ein Narr. Hör gar nicht hin!«
    Rienzi zuckte gleichgültig die Schultern.
    »Er hat es gut gemeint – sagen Sie, dottore, wie, glauben Sie, geht es aus?«
    Ascolini schürzte seine schmalen Lippen und sagte dann vorsichtig:
    »Ich denke, du hast eine gute Chance. Die medizinischen Gutachten sprechen deutlich zu deinen Gunsten. Es war ausgezeichnet, den grundsätzlichen Zwiespalt der Rechtsprechung so klar herauszustellen. Das aktiviert immer das Mitgefühl für den Angeklagten. Andererseits scheut sich jedes Gericht, Präzedenzfälle zu schaffen. Es darf nicht im geringsten den Anschein erwecken, als ermutige es ein Wiederaufleben der Vendetta. Ich möchte jedenfalls nicht in der Haut der Richter stecken. Aber du, mein Junge – du warst wirklich großartig.« Er lächelte ein bißchen verlegen und sagte: »Wenn du die Uhr nicht versetzt hast, würde ich sie gern wiederhaben.«
    »Sie machen mich sehr glücklich, dottore«, sagte Carlo dankbar. »Aber ich habe die Uhr

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