Tochter des Schweigens
Ascolini machte einen müden Eindruck. Er stützte sich schwer auf Landons Arm und sprach zögernd und nachdenklich, als hätte sein Selbstvertrauen ihn verlassen.
»Valeria fängt an, eifersüchtig zu werden – das ist gut so. Aber es ist nicht genug. Sie wird auch großzügig werden müssen. Denn wenn das alles erst einmal vorbei ist, wird Carlo erschöpft und einsam sein. Er wird Sanftmut und Rücksicht brauchen.«
»Wird Valeria ihm das geben können?«
»Ich hoffe es. Aber was sie vor allem braucht, ist Übung – und eine gewisse Demut. Ihr fehlt das beides, genau wie mir. Ich mache mir Sorgen, Landon. Ich bin alt genug, um die Größe meiner Fehler und Irrtümer zu sehen, aber zu alt, um ihre Folgen abzuwenden. Ich habe lange ohne Glauben gelebt, und jetzt beginne ich – den Tod und das Jüngste Gericht zu fürchten.«
»Valeria fürchtet sich auch, nicht wahr?«
»Vor etwas anderem. Davor, daß sie mich verlieren könnte. Davor, daß sie gezwungen werden könnte, sich anderen Gewohnheiten und Vorstellungen zu unterwerfen als den meinen. Davor, daß sie die leichte und selbstverständliche Vergebung missen müßte, die sie immer bei mir gefunden hat.«
»Auch davor, daß sie Carlo verlieren könnte?«
»Daß er sie zurückweisen könnte – was nicht ganz dasselbe ist.«
»Warum? Wegen einer Mätresse?«
»Nein. Das würde ihr nicht allzu viel ausmachen. Es würde nur ihre eigenen Seitensprünge rechtfertigen, und seine Schuld würde ihre Macht über ihn erhalten. Außerdem ist Carlo nicht der Mann, Glück in einer Hintertreppenaffäre zu finden. Die Gefahr für beide liegt etwas tiefer – daß Carlo sich in offenbar edlen Zielen Würde und Befriedigung sucht, während Valeria ohne Würde mit ihren alten Lustbarkeiten fortfährt –«
»Sie denken an Anna Albertini?«
»Das ist der Anfang – wenn auch nicht unbedingt das Ende. Es ist ein sinnvolles Unterfangen, nicht wahr: eine Verlorene zu retten und in einen sicheren Hafen zu geleiten. Unschuld zu schützen – eine Ungeliebte in ein normales Leben zurückzuführen. Und es wird mehr und mehr andere geben: Betrüger, Mörder, gewalttätige Ehemänner, unglückliche Frauen. Und in aller Schicksal wird er mehr oder weniger stark verstrickt werden. Ich kann es verstehen.« Er lachte böse vor sich hin. »Ich habe mich bei zu vielen Frauen als Seelentröster betätigt, und doch bin ich für eine oder zwei von ihnen der mutige, weise Ritter gewesen, der sie nach Hause zu Mama brachte, anstatt ins Bett. Auf diese Weise rechtfertigen wir uns vor uns selber, Landon. Sie wissen das so gut wie ich.«
Landon wußte es nur zu gut. Aber er wußte nicht, was er dagegen tun sollte. Die Ehe war ein zu unsicherer Ausweg. Und starrsinnige Tugend konnte sie oft schneller zerstören als liebenswerte Sünde. Abhängigkeit voneinander war eine Gewohnheit. Gegenseitige Fürsorge eine seltene Gnade. Immer aber mußte zumindest ein Augenblick des Verlangens danach vorhanden gewesen sein. Und das hatten Rienzi und seine Frau nie erlebt. Er sagte es Ascolini, und der nickte Zustimmung.
»Das Bedürfnis ist da, Landon. Aber Carlo ist es müde geworden, davon zu sprechen, und Valeria hat die Worte dafür nie gelernt. Gestern abend habe ich versucht, sie ihr beizubringen, aber ich bin nicht sicher, daß sie mich verstanden hat. Vielleicht hat Ninette mehr Erfolg.«
»Ich hoffe es.«
»Der Jammer ist der Mangel an Zeit. Carlos Karriere hat heute begonnen. Und sie wird sich jetzt schnell entwickeln. Und dann wird es keine Muße mehr für die Liebe geben.« Nach diesem melancholischen Resümee begaben sie sich in eine Bar und tranken ein Glas Brandy. Dann gingen sie langsam zum Café Angelo, um die beiden Frauen zu treffen.
Zu Landons Erleichterung saßen sie in eine friedliche Unterhaltung vertieft beim Kaffee. Valeria war blaß und bedrückt, und es sah aus, als hätte sie geweint. Aber sie lächelte und sagte: »Ninette war so lieb zu mir, Peter. Ich hab' euch beide so schlecht behandelt, aber ich hoffe, von jetzt an können wir Freunde sein.«
»Laßt uns nicht mehr darüber sprechen«, sagte Ninette bestimmt. »Das ist vorbei! Und heute abend feiern wir.«
»Feiern?« Ascolini warf einen fragenden Blick auf seine Tochter. »Wo?«
»In der Villa«, sagte Valeria. »Carlos Heimkehr. Peter und Ninette werden kommen, und du, Vater, bringst Professor Galuzzi mit und jeden, von dem du glaubst, daß Carlo ihn gern dabei hat. Ich habe schon angerufen, und Sabine
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