Tochter des Schweigens
bereitet alles vor. Wir brauchen so etwas, Vater.«
Ascolini lachte glücklich.
»Kind; wir werden eine Party geben, die allen ›Parties‹ ein Ende setzt. Überlaß mir die Gästeliste. Bist du sicher, daß die zu Hause alles vorbereitet haben?«
»Bestimmt. Vater.«
»Gut. Und jetzt laß uns die Namen aufschreiben. Dann werde ich herumtelefonieren, und alles ist in bester Ordnung.«
Anna Albertini lag in ruhigem Schlaf in ihrer Zelle, während Carlo Rienzi neben ihr Wache hielt. Ihr Gesicht war wächsern, wirkte aber entspannt. Ihre Hände lagen ruhig auf der grauen Decke, ihre kleinen jungfräulichen Brüste hoben und senkten sich im Rhythmus des Schlafes; Leidenschaft, Schuld und Schrecken waren einem solchen Schlaf fern. Und Carlo Rienzi fühlte sich in diesem letzten Augenblick seines Kampfes wie ein ziellos auf dunklem Wasser treibender Strohhalm.
Was er tun konnte, war getan. Er hatte sein Versprechen gehalten. Die Zukunft lag im Schoß der blinden Göttin. Er fühlte sich leer und ausgetrocknet wie ein Bach im Sommer. Und doch spürte er, als er auf das blasse unschuldige Gesicht hinabsah, eine erste dankbare Zärtlichkeit in sich erwachen. Es war wohltuend nach der Zurückhaltung, die er sich selber auferlegt hatte. Er streckte vorsichtig eine Hand aus und strich eine Haarsträhne aus des Mädchens Stirn.
Erschrocken zog er die Hand zurück, als er den Riegel der Tür gehen hörte. Die Tür öffnete sich kreischend, und Galuzzi trat ein.
Er sah ihn einen Augenblick an, dann fragte er:
»Wie geht es ihr, Rienzi?«
»Sie schläft ganz ruhig.« Rienzi stand auf und trat vom Bett zurück. Galuzzi fühlte ihren Puls und legte die schlaffe Hand behutsam auf die Decke zurück.
»Gut. Wir wollen sie ruhig schlafen lassen. Ich denke, es wird noch eine Weile dauern. Sie haben den Richtern genug zum Nachdenken gegeben, Rienzi.«
»Haben Sie schon mit ihnen gesprochen?«
»Ja, ich habe ihnen meine Meinung gesagt – das gleiche wie Ihnen.«
»Ich bin Ihnen dankbar«, sagte Carlo Rienzi.
Galuzzi sah die Müdigkeit und Überanstrengung in dem jungen hübschen Gesicht und sagte nachdenklich:
»Eines Tages, Rienzi, werden Sie ein sehr großer Advokat sein, glaube ich. Sie bringen alles mit, was dazu notwendig ist: das Gespür für das Dramatische, die Intensität, die nur ihr Ziel kennt und die fast einer Besessenheit gleichkommt – alle Großen haben sie, Chirurgen, Philosophen, Erfinder, Juristen. Jedoch, wie alle Größe, verlangt sie Disziplin.«
»Was wollen Sie damit sagen?« fragte Rienzi leise. »Hat es etwas mit meiner Mandantin zu tun?«
»Eine Menge, denke ich«, sagte Galuzzi überlegt. »Sie sind nicht zufrieden mit dem, was Sie im Gerichtssaal getan haben – wobei ich bezweifle, ob irgendein anderer Advokat nur halb soviel hätte tun können –, Sie wollen mehr. Sie wollen Annas Leben nach der Verhandlung neu gestalten.«
Rienzi war gereizt. Er sagte scharf: »Irgend jemand wird es ja wohl tun müssen.«
»Warum gerade Sie?«
Rienzi hob verwirrt die Schultern.
»Wenn Sie so fragen, weiß ich kaum eine Antwort. Aber, verstehen Sie nicht – vom Zeitpunkt der Tat bis heute habe ich das Leben dieses Mädchens bestimmt. Sie war vollständig abhängig von mir. Und sie hat sich vollständig auf mich verlassen. Ich kann sie jetzt nicht einfach fallenlassen und vergessen. Das sehen Sie doch ein?«
Galuzzi ging nicht darauf ein:
»Das ist Ihr erster großer Fall, nicht wahr?«
»Ja.«
Galuzzi trat schweigend an das Bett und sah auf das schlafende Mädchen hinunter. Dann sagte er leise:
»Es werden noch so viele andere kommen, Herr Rienzi – können Sie allen soviel geben, wie Sie Anna Albertini geben wollen?«
»Nein. Ich glaube nicht.«
»Nehmen Sie einen Chirurgen – ich habe lange als Chirurg praktiziert. Wie oft hält er ein menschliches Leben buchstäblich in seinen beiden Händen! Manchmal entgleitet es ihm – manchmal kann er es halten. Aber muß er denn trauern, wenn es ihm entglitten ist? Oder den Rest seines Lebens sich immer vor Augen halten, was er retten konnte?« Er fuhr herum und überrumpelte Rienzi mit der Frage: »Lieben Sie dieses Mädchen, Herr Rienzi?«
»Ich – ich glaube nicht.«
»Aber Sie sind nicht sicher?«
Rienzi schwieg lange, dann gestand er zögernd:
»Nein, ich bin nicht sicher.«
Galuzzi wandte sich ab und ging zum Fenster. Nach einer Weile kam er zurück und stellte sich Rienzi gegenüber. Seine Augen waren voller Mitleid, seine
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