Tochter des Schweigens
»Rienzi ist nicht unschuldiger als andere. Aber er war nie imstande, sich oder der Welt eine Unvollkommenheit zu verzeihen. Er möchte von einer Jungfrau geliebt und von einer Hure getröstet werden, weil ihm jede auf ihre Art die Illusion der Vollkommenheit gibt. Sein Ehrgeiz, seine Karriere erwachsen aus den Sünden anderer Menschen. Aber das ist noch nicht genug. Er muß noch den kleinen Priester spielen und seiner Mandantin im Gefängnis süße Predigten halten. Ein Mann wie er ist unerschütterlich. Nichts berührt ihn, weil ihn alles nur in seiner Verblendung bestärkt.«
»Das heißt umgekehrt«, sagte Landon düster, »nichts kann ihn glücklich machen.«
»Richtig. Nichts kann ihn glücklich machen, weil er alles im Licht des verlorenen Paradieses sieht.«
Landon fragte unvermittelt: »Sind Sie der Meinung, er sollte mit dem Mädchen in Verbindung bleiben?«
Galuzzi rauchte eine Weile schweigend und antwortete bedächtig: »Ich habe schon viel über diese Frage nachgedacht. Ich glaube kaum, daß ich es verhindern könnte. Und ich bezweifle, ob ich es überhaupt verhindern möchte. Bisher war Rienzis Einfluß für das Mädchen nur gut, und das kann noch lange so bleiben. Ich habe mich also zu einem Kompromiß entschlossen.«
»Was wollen Sie tun?«
»Ich versuche, Anna Albertini in eine Anstalt in Castelgandolfo bei Rom überweisen zu lassen. Das kann natürlich eine Weile dauern. Aber ich habe Rienzi gesagt, er kann sie dort sofort nach ihrer Einlieferung besuchen. Dann allerdings möchte ich, daß sie eine Weile keine Besuche empfängt, damit ich in Ruhe meine Untersuchungen anstellen und eine Behandlung festlegen kann.«
»Wie hat Rienzi das aufgenommen?«
»Er mußte sich wohl oder übel damit abfinden, aber es hat ihm nicht gefallen.« Galuzzi zuckte die Schultern, warf seine Zigarette weg und sah Landon voll an. »Wie malt man Bilder für die Blinden? Wie kämpft man gegen den mächtigen Zauber der Selbsttäuschung?«
»Glauben Sie, Rienzi ist in das Mädchen verliebt?«
»Das Wort Liebe hat etwas von einem Chamäleon«, sagte Galuzzi, »es paßt sich ganz unterschiedlichen Erfahrungen an. Wer kann sagen, daß wir uns, selbst wenn wir uns noch so überzeugt und aufrichtig dagegen verwahren, nicht selber Heben?«
Mit dieser etwas unbehaglichen Erwägung ließen sie das Thema fallen und gingen ins Innere des Hauses, in das sich die anderen Gäste schon zurückgezogen hatten.
Die Party neigte sich ihrem Ende zu. Die Gäste bildeten kleine Grüppchen, die sich, nachdem die allgemeinen Themen erschöpft waren, örtlichem Klatsch und privaten Erinnerungen widmeten. Landon befreite Ninette von einem allzu redseligen Politiker und schlug vor, sie sollten sich dem ersten Wagen nach Siena anschließen. Als Carlo die Absicht der beiden bemerkte, winkte er energisch ab.
»Unsinn! Ihr könnt doch jetzt noch nicht gehen! Laß uns erst einmal die hochnäsige Bande hier loswerden, dann beschließen wir den Abend zusammen, und ich fahre euch hinterher nach Siena.«
Seine Augen waren glasig, seine Stimme kippte um, und Landon nahm sich vor, ihn keinesfalls auch nur in die Nähe eines Autos kommen zu lassen. Er wehrte ab und sagte: »Heute nicht. Carlo, du bist müde und ein bißchen angeheitert und solltest ins Bett.«
»Ins Bett?« Er kicherte angetrunken vor sich hin. »Alle wollen, daß ich ins Bett gehe. Valeria, der alte Herr – und jetzt auch noch ihr. Keiner fragt danach, was ich will – ich bin nur'n Hengst, weiter nichts. Wißt ihr, was die von mir wollen?« Er hob die Stimme und verschüttete mit unsicheren Bewegungen den Inhalt seines Glases. »Ich soll den Laden hier mit Advokaten bevölkern – großen Advokaten, wie Ascolini und ich es sind!«
Es war höchste Zeit, daß etwas geschah, Landon nahm ihn fest am Arm und schob ihn lachend zur Tür.
»Na großartig, Carlo. Keiner will irgendwas von dir, wozu du keine Lust hast. Ninette und ich bleiben noch – aber du mußt erst wieder ein bißchen nüchtern werden.«
»Warum denn? Das ist ein großer Tag! Ich bin ein Erfolg! Und ich werde wieder verheiratet sein!«
Landon hatte ihn glücklich durch die Tür und die Treppe hinauf manövriert, wo sie außer Hörweite waren, als Valeria auf dem oberen Treppenabsatz erschien. Rienzi hob grüßend die Hand.
»Da ist sie ja! Die kleine Braut, die gerne die Mutter der Gracchen sein möchte. Wieviel Kinderchen willst du denn, mein Liebling? Wollen wir sie alle auf einmal machen – oder in
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