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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Puppenstube gemacht, aber das edle Holz war so sorgfältig poliert, dass es wie Bernstein
glänzte. In einer Ecke war die übliche Nische mit dem Rollbild, das der Jahreszeit entsprechend verschneite Pflaumenblüten zeigte. Aus einer schön geformten Schale ragte ein schlichter Kiefernzweig. Wir zogen uns aus, schlüpften in die bereit gelegten, frisch gebügelten Yukatas und suchten zunächst den Onsen auf, das zur Herberge gehörende Thermalbad. Wir wussten, dass wir bei der Rückkehr ins Zimmer die Futons ausgebreitet am Boden vorfinden würden und dass das Abendessen im Zimmer serviert wurde. Das Thermalbad war klein, aber herrlich gemütlich, und die meisten Gäste des Ryokan waren vor uns da gewesen. Nachdem wir uns  – wie es Vorschrift war  – in einem mit Holz verkleideten Vorraum gewaschen hatten, aalten wir uns im heißen Wasser, das sanft auf und ab sprudelte, aus irgendeiner unterirdischen Vulkanquelle gespeist. Nach einigen Augenblicken nahm man den Schwefelgeruch nicht mehr wahr, genoss nur die wunderbar entspannende Wirkung des Wassers. Mia lag neben mir, das Haar aufgesteckt, das helle Gesicht emporgehoben, die Augen wohlig geschlossen. Ich musste an eine treibende Seerose denken; das Verlangen regte sich stark in mir, und gleichzeitig überkam mich bei ihrem Anblick eine solche Rührung, dass ich nicht einmal wagte, das Wort an sie zu richten, geschweige denn, sie zu berühren. Später, dachte ich, später, wenn ich weniger Kopfschmerzen habe. Sie musste gespürt haben, dass ich sie anstarrte, denn nach einer Weile hob sie die Lider, blickte mich durch die Dunstschwaden an und lächelte. Ich lächelte zurück.
    Â»Besser?«, fragte sie.
    Â»Ja, danke«, seufzte ich. »Viel besser.«
    Was nicht im Geringsten der Wahrheit entsprach.
    Wir aalten uns noch eine Weile im wohltuend heißen Wasser. Dann, nach einer kalten Dusche, stapften wir müde und entspannt in unser Zimmer zurück. Und kaum waren wir
da, hörten wir ein verhaltenes »Entschuldigen Sie, bitte«. Die Schiebetüren glitten auseinander, und ein freundliches Zimmermädchen trat in den Raum. In einem geschickten Bewegungsablauf, halb kniend, halb stehend, brachte sie uns O Shibori , heiße Gesichtstücher, und kühlen Tee. Und servierte danach so viele Speisen, dass der ganze niedrige Lacktisch voller bunter Köstlichkeiten war und ich mich trotz meiner miesen Verfassung  – einmal mehr  – im Märchenland glaubte. Alles war wundervoll angerichtet, jedes Gericht in verschieden geformten Gefäßen aus Steingut, Lack oder Porzellan ein kleines Kunstwerk. Ein auf den Rand der Schale oder auf das Tablett gelegtes Blatt oder eine Blüte symbolisierte die Jahreszeit. Die Anordnung der Gerichte stellte eine Naturerscheinung dar  – Wellenspiel, Regenbogen oder einen besonders geformten Stein. Alle fünf Sinne wurden hier angesprochen, und mir ging durch den Kopf, dass man allein in Japan diesen hochstilisierten, ästhetischen Genuss erleben konnte, der gleichsam einen Zustand der Meditation und des Glücks schuf. Als wir nach dem Essen den körnigen grünen Tee tranken, legte ich den Kopf an Mias Schulter, ließ mich von dieser Atmosphäre der Beschaulichkeit und Stille umfangen. Und ich sagte, dass ich niemals mehr wegwollte. Nie mehr. Ich wollte in Japan bleiben, mein Leben lang, denn hier fühlte ich mich glücklicher als je zuvor. Das sagte ich Mia, und sie hörte zu, verständnisvoll und still vor sich hin lächelnd. Das Band zwischen uns hatte sich gefestigt. Es kam mir unvorstellbar wichtig vor, dass ich an diesem Abend noch sagte, was sie für mich bedeutete. Und so redete ich vor mich hin, ohne zu überlegen, so wie man im Traum redet. Mia hielt ihren Blick auf mich gerichtet; ihre Augen mit den goldenen Glanzlichtern waren schöner denn je. Nein, sagte ich, es käme nicht infrage, dass ich zurück nach Deutschland ging, wo ich meinem Übelbefinden freien Lauf lassen würde, wo ich wieder
zum Nörgler werden würde, zum Miesepeter. Und ich fragte Mia, ob sie sich bei all ihrer Unabhängigkeit vorstellen könnte, mich zu heiraten. Da zuckte sie leicht zusammen.
    Â»Würde dich das glücklich machen?«
    Â»Ja, sehr. Wenn wir also hier rauskommen, heiratest du mich?«
    Sie starrte mich an.
    Â»Wenn wir hier rauskommen?«, wiederholte sie

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