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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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gingen in entgegengesetzter Richtung. Mia zeigte eine komische Grimasse, ein Gemisch zwischen Befangenheit und ersticktem Gelächter.
    Â»Was hat die Tante dir zum Abschied gesagt?«, fragte ich.
    Â»Oh!«
    Mia, etwas rot im Gesicht, bewegte die Hand, als würde sie sich Luft zufächeln.
    Â»Sie hat gesagt, dass ich ein ungeschicktes Frauenzimmer bin!«

16. Kapitel
    E s gab eine Zeit, in der ich mich oft fragte, wo sich Schriftsteller physisch aufhielten, wenn sie schrieben. Ob sie in ihrem Büro, in ihrem Bett oder im Garten arbeiteten, neben der Katze oder neben dem Hund. Mit Mozart, Leonard Cohen oder doch lieber in einer Umgebung, in der alles mucksmäuschenstill war. Mit Computer oder Hermes Baby. Bei Lesungen hatte ich sogar Snobs angetroffen, die  – Hand aufs Herz  – versicherten, dass sie ihre erlauchte Prosa nur dem Füllfederhalter Marke Montblanc anvertrauten. Ihre Verleger hatte ich dann jeweils sehr bedauert.
    Abgesehen davon, dass die meisten flunkerten, war ich allmählich zu der Überzeugung gekommen, dass Umfeld und Aufenthaltsort eine untergeordnete Rolle spielten. Schriftsteller konnten meinetwegen in der Sahara leben. Was sie schrieben, vollzog sich in ihrem Kopf, den sie hoffentlich auf den Schultern hatten, und wurde von Eindrücken und Gefühlen gesteuert. Das jedenfalls hatte ich bisher gedacht. Dass es auch ganz anders sein konnte  – dass es Orte gab, die dem Schriftsteller sozusagen ihre Gegenwart aufzwangen, war mir noch nicht in den Sinn gekommen.
    In der Nacht, so gegen drei, wachte ich auf, lag zwei gute Stunden wach, und mein Gehirn befasste sich unentwegt mit meinem zukünftigen Domizil. Ein Haus unter Denkmalschutz? Ich stellte mir ein imposantes Gebäude nach Prager Art vor. Trotzdem, es stimmte einiges nicht. In Tokio hatte
ich kaum Häuser gesehen, die dieser Vorstellung entsprachen. Tokio schien eine Stadt zu sein, die sich pausenlos neu erfand. Mit der Bemerkung, sie wollte mir die Überraschung nicht verderben, hatte Mia meine Fantasie auf höchste Touren gebracht und dabei nicht bedacht, dass sie mir unter Umständen den Schlaf raubte. Ich stand noch unter Jetlag, mein Gehirn war aus dem Rhythmus gekommen, mimosenhaft empfindlich, und rächte sich mit einem Karussell von Gedanken. Rundherum, immer im Kreis. Es nützte nichts, dass ich mich von einer Seite auf die andere wälzte, Schafe zählte und mir immer wieder sagte, Mensch, schlaf jetzt endlich! Baldrian? Genauso gut hätte ich Daumen lutschen können. Mein Gehirn lief stur und beharrlich Amok. Als ich dann endlich einschlief, war es halb sechs und bald Zeit zum Aufstehen.
    Â»Hoffentlich finde ich den Weg«, sagte Mia, als sie mich nach dem Frühstück abholte. »Ich bin schon lange nicht mehr dort gewesen.«
    Die Fahrt mit der U-Bahn dauerte etwa zwanzig Minuten. Hinter den Fenstern zogen dicht gedrängte Mietskasernen vorbei, Parkhäuser, Autoschlangen, Brücken auf Betonpfeilern. Dann erreichte die U-Bahn das Stadtviertel Kanda, ein Name, den man sich gut merken konnte. Wir stiegen aus. Der Bahnhof war klein, dringend renovierungsbedürftig, vorwiegend von älteren Leuten bevölkert. Wir gingen durch eine Einkaufspassage, stiegen  – zu Fuß  – eine hohe Treppe hinauf, bogen um eine Ecke, dann um eine andere und erreichten in ein paar Minuten eine andere Welt. Von Tokios Verkehrschaos, von der Autobahn, von den Geschäftsvierteln mit ihrem Gedränge trennten uns  – Luftlinie  – nur einige Minuten, aber hier war ein Ort außerhalb der Hektik, wo die Zeit irgendwann mal zum Stillstand gekommen war. Puppenhäuser aus Holz, Eisenblech und Ziegeln säumten
die engen Straßen ohne Gehsteige. Sanft klingelnde Fahrradfahrer  – Rentner, Hausfrauen und Schulkinder  – kamen uns entgegen oder überholten uns. Die wenigen Autos fuhren im Schneckentempo vorbei, als ob sie hier nur geduldet wären. Gerüche von gegrilltem Fisch, Sojasoße oder Ingwer erfüllten die gewundenen Straßen, die sich unter einem altmodischen Netz von Strom- und Telefonleitungen dahinzogen und den Eindruck einer skurrilen, veralteten Unordnung noch verstärkten. Wir kamen an düsteren Boutiquen vorbei, die Arbeitskleidung und Strickmode aus der Mottenkiste im Schaufenster hatten, an Trödlerläden voller Gerümpel. In Werkstätten waren ältere

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