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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Männer, ein weißes Schweißtuch um die Stirn, damit beschäftigt, etwas zu zimmern, zu hämmern oder zu nähen. Und Buchhandlungen gab es! Buchhandlungen in Hülle und Fülle, alle klein, antiquiert, vollgestopft bis an die Decke, in denen Studenten in schwarzer Schuluniform, Kaderleute und modische junge Frauen stöberten. Andächtige Stille herrschte. Die Leser standen stumm in einer Reihe, die Nase in irgendeinem Buch versunken. Das Ganze passte überhaupt nicht zu dem, was ich bisher von Tokio gesehen hatte.
    Inzwischen ging Mia zielstrebig weiter. Sie wirkte sehr konzentriert, zögerte jedoch nie eine Sekunde. Ihre Augen waren ständig in Bewegung. Bald kamen üppige hohe Baumkronen in Sicht. Das Gelände bildete eine Art grüne Insel inmitten der Stadt. Ein steinerner Torbogen, alt und moosbewachsen, führte zu einem Heiligtum, dessen überlagerte Ziegeldächer kühl und köstlich leuchteten.
    Â»Der Inari -Schrein«, sagte Mia. »Wir sind gleich da.«
    Ein kleiner Weg, mit Kies bestreut, folgte nach der Tempelanlage. Wir kamen an zwei, drei Häusern vorbei, zweistöckig mit Garagen, die fast das ganze Erdgeschoss einnahmen. Ein Dutzend alter Fahrräder, alle mit Metallkörben, lehnten
an den Hauswänden. Ich trabte gehorsam hinter Mia her. Ein Haus im Prager Stil war weit und breit nicht zu sehen; nur diese altertümlichen Bauten, die wie Holzschuppen aussahen, und in denen offenbar Familien wohnten. Wo, um Himmels willen, war ich hier angekommen?
    Und tatsächlich gingen wir jetzt auf einen dieser Holzschuppen zu. Ich sah Mia den Schlüssel ihrer Tante hervorkramen und dachte: Das darf doch nicht wahr sein: der Holzschuppen, nur ein Stockwerk hoch, hatte verwitterte Ziegel und war von Büschen umgeben. Ein paar Steinstufen führten zum Hauseingang. Mia steckte den Schlüssel in das Schloss, drehte ihn hin und her. Die Tür blieb hartnäckig zu.
    Ich trat neben Mia.
    Â»Kann ich dir helfen?«
    Â»Danke, es geht schon«, sagte sie etwas atemlos. »Das Schloss ist lange nicht mehr geöffnet worden.«
    Sie drückte noch einmal, und endlich ging die Tür auf, wobei sie knarrend über den Boden schleifte. Das Erste, was ich sah, war ein kleiner Vorraum. Der Boden war aus altem Gestein, und auf beiden Seiten befand sich ein Holzgestell für die Schuhe. Ein Dutzend graue Filzpantoffel standen auf einem Regal. Mia stieg aus ihren Ballerinen, drehte sie mit der Spitze akkurat zum Eingang. Sie schlüpfte in die Pantoffeln und reichte mir ein zweites Paar, bevor sie in ihrer Handtasche wühlte und eine Taschenlampe zum Vorschein brachte.
    Â»Woher hast du diese Taschenlampe?«, fragte ich überrascht.
    Â»Wir sollten immer eine dabeihaben«, sagte sie. »Du auch, Rainer. Der Strom könnte ja mal ausfallen.«
    Â»Warum?«, fragte ich entgeistert.
    Â»Ein Erdbeben«, sagte Mia. »Stell dir mal vor, wir sind in der U-Bahn, und alles wird dunkel.«

    Musste man in diesem Land immer mit solchen Gedanken leben? Ich schob die Horrorvision weit von mir. Inzwischen sagte Mia: »Bleib, wo du bist. Ich muss zuerst Licht machen.«
    Ich wartete, während Mia, dem Strahl der Taschenlampe folgend, sich im Inneren des Hauses orientierte. Drinnen war alles stockdunkel, und es roch tatsächlich nach alter Scheune. Ein Gemisch aus Stroh und eingeschlossener Luft. Der Geruch war nicht unangenehm. Offenbar war das Haus mit Tatamimatten ausgelegt. In den Räumen herrschte eine sonderbare Art von Dunkelheit. Ich kam mir vor wie in einem Film. Gleich würde mir jemand an die Gurgel springen oder mich mit dem Messer bedrohen. Und hier sollte ich wohnen? Im selben Augenblick hörte ich ein klackendes Geräusch, und auf einmal ging Licht an. Es kam aus zwei Lampenschirmen an der Decke, viereckig und mit dunklen Holzstäbchen versehen. Solche Lampenschirme hatte ich bereits in schwedischen Möbelhäusern gesehen, wo sie als besonders trendy galten. Mein Geschmack war es nicht, aber diese hier waren offenbar echt. Inzwischen vernahm ich Mias Schritte, die auf den Reismatten federten.
    Â»Es tut mir leid, ich wusste nicht mehr, wo die Sicherungen sind. Das Gas funktioniert auch, jetzt kannst du heißes Wasser haben und die Herdplatte heizen. Ich habe auch gleich die Lüftung angestellt.«
    Tatsächlich hörte ich ein leises Summen, das allmählich deutlicher wurde. Ich schaute mich um. Das

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