Tod am Chiemsee (German Edition)
niederdrückte, doch die Erinnerung daran,
dass man einige Dinge nicht verzeihen konnte – weil sie sich selbst nicht
verzieh. Sie würde sich ein neues schnitzen, Tobias brauchte es gerade
dringender. Nur ohne ihren Bußzettel.
Sie schob das kleine Geheimversteck wieder zu und legte ihm das
Lederband mit dem Kreuz um. »So, das ist jetzt unser Geheimnis«, sagte sie. »Du
kannst hineintun, was du magst.«
Er klatschte begeistert in die Hände. »Und wenn ich eine Nachricht
für dich habe, schreib ich sie auf und lege unser Kreuz … ah … ja, ich weiß …
ich lege es unter die Klostereiche.«
Er drückte Althea kurz an sich. »Schönes Geschenk«, sagte er.
Das fand sie auch, nur andersherum; Tobis Umarmung war auch ein
schönes Geschenk.
»Wohin gehen wir jetzt?«, fragte er, und Althea deutete in eine der
Himmelsrichtungen. Die Chiemseewerft und Martin Sattler, sonst käme sie mit
leeren Händen ins Kloster zurück und sie müsste Schwester Jadwiga erklären,
weshalb sie den halben Tag herumgelaufen, Taxi gefahren, Eis essen gewesen
war; alles für eine kleine Fisch-Zusage.
»Bist du noch dabei, Tobi? Die Chiemseewerft baut ganz tolle Boote,
und wir stellen wieder Fragen. Unser Spiel.«
»Klaaar«, sagte Tobias Tümmler und klopfte ihr vorsichtig auf die
Schulter.
Althea konnte sich nicht vorstellen, dass jemand Interesse daran
hatte, Feriengäste auf dem See herumzuschippern. Auch nicht für ein
christliches Sommernachtsfest. Aber Fragen stellen konnte man. Sie machte sich
rufend bemerkbar und zog die Stahltür auf.
»Niemand da?«, fragte sie.
Tobias bestaunte das halbfertige Boot. »Das wird schön«, sagte er
und sog die unterschiedlichen Gerüche in seine Lungen, als wäre es Blütenduft.
Althea hatte ihr Ordensgewand etwas angehoben, um nicht irgendwo hängen oder
kleben zu bleiben.
»Diese Knöchel kommen mir bekannt vor.« Lukas Lanz tauchte hinter
dem Rumpf auf.
Bestimmt nicht. Althea verneinte das mit aller Macht, als hätte das
eine Bedeutung. Es hatte keine. Dafür war sie sich jetzt ganz sicher, diesem
Mann niemals in irgendeiner Weise nahegekommen zu sein. Sie atmete erleichtert
aus.
»Habt ihr euch verschworen? Erst eine Richterin, und weil ich keinen
der Morde gestehen will, kommt gleich hinterher noch ein Pinguin.« Er hatte
noch eine saftige Beleidigung auf den Lippen, verkniff sie sich jedoch. Althea
konnte ihn trotzdem denken hören.
»Für Geständnisse sind Pinguine nicht zuständig. Die falsche
Instanz. – Wie viele Morde gäbe es denn zu gestehen? Für ein Gebet sind
Pinguine nämlich immer gut.«
»Keinen. Bis gerade eben überhaupt keinen«, beantwortete Lukas
Altheas Frage. Vielleicht fand er so etwas lustig, aber das würde ihm vergehen.
»Ich weiß, ich kenne Sie irgendwoher. Und wenn es nicht die Knöchel
waren, dann war’s was anderes. – Und beten dürfen Sie immer für mich.« Würde
sie aber nicht. Althea wackelte noch ein wenig mit ihren nackten Knöcheln
herum.
»Ach, Lukas, du warst mir immer schon zu oberflächlich. Es war
nichts anderes, weil da überhaupt nichts war. Du warst mir zu farblos. Der
Meinung war Theresa auch – kein Tiefgang. Hat dich das sauer gemacht? So gar
kein Blick für den hübschen älteren Bruder?« Althea wusste, sie provozierte –
doch er hatte damit angefangen.
Bei der Erwähnung von Theresas Namen zuckte ein Muskel in seinem
Gesicht, und seine Augen würden trüb.
»Kein Tiefgang? Ist mir auch lieber so. Wo das tolle Liebespaar doch
gerade wieder zu uns gestoßen ist – aus den Tiefen des Chiemsees. Zu viel Tiefgang, würde ich meinen.« Sein Grinsen war
grässlich. Er hatte Moritz gehasst, für alles, was er war, und für alles, was
der Bruder bekam und worum Lukas selbst hatte kämpfen müssen. »Sagen Sie doch
endlich, was Sie wollen. Die Vergangenheit ist tot.«
Ja, einerseits war sie das, doch Lukas Lanz hasste seinen Bruder
noch immer.
Althea hatte genug gehört, wenn auch nichts wirklich Bedeutsames.
Aber sie war schließlich auch wegen einer Anfrage hergekommen. Und jetzt war es
Zeit zu fragen.
»Das Kloster feiert ein Sommernachtsfest …«, und Althea erklärte
ihre Idee, als wäre es das Natürlichste der Welt, jemandem einen Mord
vorzuwerfen und ihn anschließend um einen Freundschaftsdienst zu bitten.
»Wir sind nicht in Italien, oder?« Lukas bewegte den Mund, als
wollte er ihr gleich vor die Füße spucken.
»Venedig«, sagte Althea.
Tobi streckte gerade eine Hand nach dem frisch lackierten
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